Gastkommentar

Wohlwollend wegsehen – vom Pfusch

(c) Peter Kufner
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Wer über Schwarzarbeit seriös diskutieren will, sollte die Geschichten, die über sie erzählt werden, vergessen.

DER AUTOR

Dr. Franz Schandl
(geboren 1960 in Heidenreichstein) studierte Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Wien, lebt dort selbst als Publizist. Zahlreiche wissenschaftliche und journalistische Veröffentlichungen im In- und Ausland. Herausgeber der Zeitschrift „Streifzüge“:

www.streifzuege.org.

Für Schwarzarbeit zu sein, das geht nicht. Indes was Haltung nicht erlaubt, das ist als Handlung durchaus geboten. Da wird gepfuscht, ohne lang zu fragen. Ob Hochkonjunktur oder Depression, Schwarzarbeit ist obligat und wird nicht einmal als Kavaliersdelikt gesehen, sondern überhaupt nicht als Vergehen. Sie steht für eine zusätzliche Verdienstmöglichkeit, ja oft Verdienstnotwendigkeit. Die regelmäßigen Attacken auf Schwarzarbeit sind hingegen Ausdruck eines ideologischen Rituals. Mit einer realistischen Überzeugung haben sie nichts zu tun.

Gemeinhin ist Schwarzarbeit eine Ware-Geld-Beziehung, die sich um deren rechtliche Superstruktur (Steuer, Lohnnebenkosten, Versicherungen, Arbeitszeiten, Haftungen etc.) nicht schert. Ihre Leistungen sind daher billiger. Der Pfuscher verkauft anders als der Arbeiter nicht seine Arbeitskraft, sondern seine Arbeit. Der Verkäufer nimmt mehr ein, und der Käufer gibt weniger aus, darin liegen Ansporn und beiderseitiger Vorteil. Abgaben werden wie selbstverständlich hinterzogen.

Als eine Ökonomie sui generis existiert Schwarzarbeit an der Grenze der monetarisierten Geschäftswelt, der sie wohl substanziell angehört, ohne ihren rechtlichen Rahmenbedingungen zu entsprechen. Nicht nur Zivilisten, auch die Zivilwirtschaft spielt mit. Primär nimmt man dieser das Geschäft nicht weg, sondern beteiligt sie daran, was diese auch freut, ohne dass sie es offiziell sagen darf. Eine lebendige Zivilgesellschaft hat hier tatsächlich die Lohnnebenkosten auf null gesenkt.

Vieles würde nie gebaut

Unzählige Eigenheime hätten nie ohne Pfuscher und Pfuschpartien gebaut werden können. Dass am Rohbau ein Schild der örtlichen Baufirma hängt, sollte nicht vergessen werden. Schließlich kauft man dort die Materialien oder zumindest einen Teil davon ein. Das wissen sogar Behörde und Polizei, die nichts tun, wenn nicht ein Denunziant seinen Nachbarn eines auswischen will oder die Taferln stiftende Firma vom Konkurrenten angezeigt wird. Der Gefahren einer Strafe ist man sich durchaus bewusst. Das Risiko zahlt sich aus. Nach wie vor gilt eine informelle Toleranz, die formell nicht angesprochen werden darf. Es regieren Heuchelei und Verlogenheit.

Im Pfusch wirft die Ökonomie ihre Schatten, von Hellgrau bis Tiefschwarz. Schwarzarbeit gehört also dazu, sie ist logische Verlängerung und geheimer Zusatz. Es handelt sich um keine fundamentale Differenz. So sind auch die Übergänge von der gewerblichen Wirtschaft über die Nachbarschaftshilfe zur Schwarzarbeit fließend und funktionieren gelegentlich auch auf der Ebene eines nicht monetären Tauschs oder von Bereitschaften, Absichten und Erwartungen, die oft gar nicht erst auszusprechen sind, weil sie selbstverständlich erscheinen. Wie du mir, so ich dir. Eine Hand wäscht die andere.

Die gängige Behauptung, dass Schwarzarbeit die Wirtschaft schädige, steht auf wackeligen Beinen. Leistungen, die durch den Pfusch entstehen, könnten zu legalen Tarifen von ihren Auftraggebern oft nicht bezahlt werden. Unternehmen und Staat werden um Summen „betrogen“, die meistens nicht lukrierbar wären, weil diese Arbeiten offiziell zu keiner Nachfrage fänden. Es ist daher eine Milchmädchenrechnung, die aufgemacht wird, wenn man einen wirtschaftlichen Schaden behauptet. Was Fiskus und Gewerbe da entgeht, entgeht ihnen nicht wirklich. Erstens wird ein Teil des Schwarzgelds wiederum versteuert in den Wirtschaftskreislauf gepumpt, und zweitens würde ein nicht unbeträchtlicher Teil der Schwarzarbeit gar nicht zu einer rechtskonformen wirtschaftlichen Transaktion aufsteigen, da die Leute die Professionisten nicht bezahlen könnten. Das Haus würde nicht gebaut, die Heizung nicht eingebaut, das Auto nicht angeschafft werden. Und der Zaun würde, anstatt repariert zu werden, der nächsten Thujenhecke weichen. Die Rechnung wird erst komplett, wenn man imstande wäre zu eruieren, wie viel Schwarzarbeit zur Volkswirtschaft beiträgt und dem Finanzamt einbringt.

Alles Spekulation

Zu fragen wäre: Wie viel Nutzen? Wie viel Schaden? Wessen Nutzen? Wessen Schaden? So kann nur gesagt werden, dass der Pfusch relevant ist, aber nicht, wie. Alle Schätzungen sind Vermutungen, alle Berechnungen Spekulation. Das Volumen ist nicht darstellbar. Was monetär nicht erfasst werden kann, gilt eigentlich nicht als ökonomische Tätigkeit und findet daher in den Voranschlägen und Abschlüssen keinen Eingang, maximal als fantasierte Größe. Jedes Geschenk (insbesondere von Arbeit!) ist demgemäß eine Geschäftsschädigung, geht in den Bilanzen, aber auch beim BIP verloren.

Die Wirtschaftswissenschaft steht vor immensen Problemen. Wo Geld nicht vorkommt oder nicht registriert wird, wird es für sie schwer. Ohne Buchung ist die Leistung nämlich keine gewesen, auch wenn es sie gegeben hat. Nach obligaten Kriterien ist sie amorph. Doch in diversen Bereichen ist das der Fall, in der Sorge und Pflege, in der Erziehung wie im Haushalt, von den Dimensionen der Nachbarschaftshilfe einmal abgesehen. Der grauen Zonen sind es viele und deren Bilanzierungsprobleme enorm.

Wie viel Eigeninitiative und Nachbarschaftshilfe, Schwarzarbeit und Lohnarbeit etwa in einem Waldviertler Badezimmer stecken, das lässt die Ökonomen schlicht kapitulieren. Uns würden jedenfalls die Rechenmodelle interessieren, die derlei je zu taxieren vermögen. Vifer als volks- und betriebswirtschaftliche Modelle ist die Realität allemal. Und wenn die Pfuscher wiederum nicht pfuschen würden, könnten sie sich selbstredend einiges nicht leisten, was wiederum der Wirtschaft nicht förderlich wäre. Nationalökonomie tut sich schwer, das nachzurechnen. Seriöse Auskünfte sind aus naheliegenden Gründen rar. Eine politökonomische Einordnung der geduldeten Trinkgelder etwa müsste konstatieren, dass selbst der Gesetzgeber in einigen Fällen der Umgehung des Fiskus wohlwollend wegsehend gegenübersteht, einerseits um Unternehmen bei den Ausgaben zu entlasten, andererseits, um dem schlecht bezahlten Personal in der Gastronomie wie anderswo zusätzliche, steuerfreie Einkünfte zu ermöglichen.

Ein bürgerliches Märchen

Wer über den Pfusch seriös diskutieren will, sollte die Geschichten, die über ihn erzählt werden, vergessen. Das ist selbstvergewisserndes Gerede, das zur Beruhigung der Gemüter dient, um sich der Wirklichkeit nicht zu stellen. Kursierender Unsinn. Freilich hat der Pfusch auch seine Tücken: Unfälle bei den Arbeiten und fehlende Garantien bei Mängeln sind nur zwei große Probleme. Großflächig und professionell organisiert, nimmt Pfusch schnell mafiose Züge an. Aber zwischen Profis und Amateuren ist der Unterschied nur einer des Quantums. Darin liegt auch ein Grund, warum die Abneigung der kleinen Trickser gegenüber großen Gaunern gering ausfällt, auch Respekt vor deren Gerissenheit mag da mitspielen. Dass Wirtschaft und Kriminal sich wesensfremd sind, ist sowieso ein bürgerliches Märchen. Es steht nicht an, die Schwarzarbeit schönzureden, aber über ihre ganze Realität zu sprechen, das wäre schon ein Fortschritt.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2023)

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