Ausblick für Schwindelfreie: Die Aussichtsplattform Sky Bridge im Kingdom Centre Tower bietet ein Rundumpanorama Riads.
Mitten in der Wüste

Riad: Nachtschwärmen auf saudiarabisch

Im einst abgeschotteten Wüstenstaat gibt es Malls, Vergnügungsparks und renovierte Sights zu besichtigen. Am spannendsten aber ist es, den Saudis in ihrem neuen Alltag zuzusehen. Vorzugsweise nachts.

Am Donnerstagabend beginnt in Riad das Wochenende – und der Stau. Es ist 20 Uhr, und die Autoschlange windet sich in Richtung des Vergnügungsparks Boulevard City im Nordwesten der Stadt. SUVs und Jeeps schieben sich an hell erleuchteten Geschäftszeilen vorbei. Es wird gehupt und gedrängelt. Endlich ist die Abfahrt von der Stadtautobahn genommen. Doch der Fahrer verpasst die richtige Abzweigung – und muss einen neuen Anlauf nehmen. Noch einmal Einreihen in die Kolonne. Großräumige Umfahrung. Zehn Minuten später, endlich das Ziel: ein riesiger Parkplatz, vollgestellt mit Autos. Einen Besuch von Boulevard City hatten offenbar auch viele andere im Sinn. Die Fahrt ins Freizeitparadies ist eine Kollektivanstrengung.

Boulevard City: Entertainment- und Erlebniswelt 

Wer das neue Saudiarabien sehen will, der kommt um die Amüsiermeile Boulevard City nicht herum. Das neue Saudiarabien also, von dem es heißt, es stecke irgendwo im weiten Territorium zwischen Absolutismus und Aufbruch, zwischen Vergangenheit und Übermorgenland. Vor ein paar Jahren hat der junge Kronprinz, Mohammed bin Salman, den man hier nur kurz und knapp MBS nennt, den Neuanfang von oben befohlen. Unter dem knackigen Begriff Vision 2030 erließ er ein paar längst fällige Reformen, die sein ressourcenverwöhntes Land fit machen sollen für die Zeit nach dem Öl. Um politische Teilhabe geht es nicht; Saudiarabien ist weiterhin eine absolutistische Monarchie. Jedoch wird die Wirtschaft diversifiziert und die Gesellschaft – sanft – liberalisiert. Frauen dürfen seit einiger Zeit Auto fahren, ohne Schleier aus dem Haus gehen und sind in Restaurants gern gesehen.

Boulevard City in Riad: riesiges Areal mit Entertainment- und Erlebniswelt.
Boulevard City in Riad: riesiges Areal mit Entertainment- und Erlebniswelt.Saudi Tourism Authority

Gern gesehen in dem einst abgeschotteten Land sind nun auch Gäste aus dem Ausland, also Touristen. Saudiarabien will wie seine Nachbarn Jordanien und die Vereinigten Arabischen Emirate zum Urlaubsziel werden. War die Zahl ausländischer Touristen bisher eher bescheiden (2021 waren es gerade einmal 3,5 Millionen laut Welttourismusbehörde; 2022 immerhin 18 Millionen in den ersten neun Monaten des Jahres), sollen es 2030 schon 100 Millionen sein. Das klingt sehr ambitioniert, um nicht zu sagen megalomanisch. Doch so sind die Saudis: Wenn sie etwas tun, ist es grundsätzlich mega. Womit wir wieder zurück sind bei Boulevard City.

Karting, Kinos, Kletterwände

Boulevard City soll das Bedürfnis der Jungen nach Kommerz und Konsum befriedigen. Das riesige Areal ist eine aus dem Boden gestampfte Entertainment- und Erlebniswelt für die Stadtbevölkerung. Ursprünglich als temporäres Projekt geplant, wird diese hyperkünstliche Insel inmitten von Brachen und Beton nun permanent betrieben. Hierher kommt man, um Spaß auf saudiarabisch zu haben. Natürlich ohne Alkohol. Der ist noch immer und überall verboten. Dafür gibt es sonst alles (Un-)Denkbare: Restaurants und Fast Food, Kartingbahn und Kinos, Kletterwände, Karusselle, Eisring und Gondelbahn, Bowling, Gaming und das gute alte Dosenwerfen (als Preise winken überlebensgroße Stoffbananen und Riesenplüschteddys). Es ist nicht nur eine gnadenlose Überreizung der Sinne, es ist auch eine Art gesellschaftliches Laboratorium: Hier wird getestet, was möglich ist.

Gruppen von Burschen und Mädchen beäugen einander gegenseitig aus sicherer Entfernung in den Fußgängerzonen. Frauen rauchen Wasserpfeife. Junge Familien nehmen Selfies vor blinkenden Kulissen auf. Eine Sängerin schmettert von einer Bühne arabische Chansons, musikalisch begleitet von älteren Herren. Mädchen, Burschen, Männer, Frauen – alle sind sie begeistert. Noch vor ein paar Jahren wäre diese ausgelassene Szene undenkbar gewesen in dem Wüstenstaat. Bis vier Uhr früh geht die Party. Dann macht Boulevard City dicht. Wer keinen Alkohol trinkt, der hat Energie bis zum Morgen.

In At-Turaif, ein Lehmhäuserviertel nahe Riad.
In At-Turaif, ein Lehmhäuserviertel nahe Riad.Saudi Tourism Authority

Überhaupt ist Riad die Metropole der nüchternen Nachtschwärmer. Nächtens eröffnet sich einem der saudische Alltag. Da ist alles in Bewegung: die Malls voller Einkäufer und die Lokale voller Hungriger. In der Dunkelheit hat auch der waghalsige Ausblick aus dem 99. Stock des Kingdom Centre Tower, von der 302 Meter hohen gläsernen Sky Bridge, Sinn: Riad, das ist ein leuchtender Teppich, gewebt aus vielen kleinen Quadraten. Wo es dunkel ist, beginnt die Wüste.

Der Freitag wird zum Sonntag

Anderntags, am Freitag, ist erst einmal nichts los. Freitag in Saudiarabien ist wie Sonntag in Mitteleuropa. Langweilig für Touristen. Die Saudis verbringen den Tag mit der Familie. Geschäfte und Cafés sind geschlossen. Erst nach dem großen Gebet am Nachmittag bewegt sich wieder etwas. Dann lohnt sich ein Spaziergang im alten Zentrum Riads. Hier sind die Proportionen andere als in Downtown mit seinen Wolkenkratzern und Stadtautobahnen. Die frühere Mitte der Stadt wirkt kleinteilig, gemütlich, die Sehenswürdigkeiten sind fußläufig erreichbar. Zu besichtigen sind das Fort Masmak und ein sehr aufgeräumter Souk, in dem Frauen und Männer die alltagstaugliche Landestracht kaufen können: die bodenlange Robe der Männer, Thaub genannt, samt weiß-roter Kufija und dem schwarzen Kopfring namens Agal. Für Frauen gibt es schwarze Abajas, schlicht oder mit Pailletten besetzt, das sind die typischen bodenlangen Umhänge, die nicht mehr Pflicht, aber dennoch das bevorzugte Kleidungsstück beim Verlassen des Hauses sind – oder kuschelige Mäntel aus Plüsch für die kühlen saudischen Winterabende, ebenfalls bodenlang.

Wem die saudische Gesellschaft nach ein paar Tagen immer noch ein Rätsel ist, der kann mit dem Hospitality-Projekt Hi-Home (www.hihome.sa) einen Blick hinter die hohen Mauern der Wohnquartiere werfen. Gegründet hat das Projekt die 29-jährige Nourah Alsadoun, die damit Besuchern die Lebenswelt ihrer Landsleute näherbringen will. Beim Abendessen bei einer Gastfamilie erfährt man im lockeren Gespräch Wissenswertes – und wird köstlich bewirtet. Gestartet wird übrigens stets mit saudischem Kaffee, traditionell vom Hausherrn am offenen Feuer zubereitet. Ausgeschenkt in kleinen Tonbechern ist er hellbraun und überraschend dünn. Er zeichnet sich durch kurze Röstung der Bohne aus und hat dank Kardamom eine spritzige Note. Dazu werden Datteln gereicht.

Meterdicke Lehmwände: Fort Masmak beherbergt ein Museum.
Meterdicke Lehmwände: Fort Masmak beherbergt ein Museum.Saudi Tourism Authority

Wer es hingegen bei kulinarischen Impressionen belassen will, dem seien die Riader Restaurants empfohlen: Traditionell geht es etwa im Najd Village zu, das einer traditionellen Lehmbehausung der Region nachempfunden ist. Diniert wird auf dem Boden in heimeligen Sitzkojen. Verschiedenste Eintöpfe werden gereicht, dazu gegrilltes Lamm- und Kamelfleisch; Letzteres schmeckt herzhaft-würzig. Kreative Arabian Fusion-Küche bietet die Resto-Bar Takya, die regionale Klassiker auf höchstem Niveau neu interpretiert.

Ausflugsziele Wadi Hanifa und At-Turaif

Derart gestärkt lässt sich am nächsten Tag die Umgebung von Riad erkunden: das für hiesige Verhältnisse grüne Naherholungsgebiet Wadi Hanifa oder die historische Stätte At-Turaif, wo im Jahr 1744 der erste saudische Staat gegründet wurde. Früher nannten die Einheimischen den Ort schlicht „die Ruinen“, wie der Tourismusmanager Salman Mohammad Alali – makelloser weißer Thaub, grau melierter Bart, perfektes Englisch – erklärt. Heute ist die Siedlung aus alten Lehmhäusern aufwendig restauriert, Unesco-zertifiziert und kann bequem auf Stegen erkundet werden. Rundherum errichtet man eine Erlebniswelt aus Fußgängerzonen, Cafés und Hotels. Richtig, das Projekt ist Teil von MBS' Vision 2030.

In At-Turaif nahm die Herrschaft der Königsfamilie Saud ihren Ausgang, heute gilt es als Wiege der Nation. „Wir feiern ein neu gefundenes patriotisches Bewusstsein“, bestätigt Alali. Die Wolkenkratzer Riads sind in der Ferne sichtbar. „Dort liegt die Zukunft, aber wir gedenken der Vergangenheit.“ Nation Building auf Sand – natürlich mit Spezialeffekten. Wenig verwunderlich besuchen die Saudis At-Turaif am liebsten abends. Dann erweckt eine Ton- und Lichtshow die historische Kulisse zum Leben.

NEUES ZIEL: SAUDI-ARABIEN

Allgemeine Infos. Saudi-Arabische Tourismusagentur. www.visitsaudi.com

Einreise. Mittels E-Visum nicht mehr schwierig. Auch Visa on Arrival gibt's. Besucher des Landes erklären sich per Unterschrift dazu bereit, die Gesetze und Traditionen des Landes zu befolgen. Da-zu gehört auch das Alkoholverbot sowie die Verpflichtung, als Nichtmuslim Mekka und Medina zu meiden. Zuwiderhandlungen werden streng bestraft. So wird man beim Formularausfüllen auch darüber informiert, dass der Handel mit Drogen mit der Todesstrafe geahndet werden kann. https://visa.visitsaudi.com

Anreise. Direktflüge mit WizzAir nach Riad und Dschidda zweimal wöchentlich. Neuntägige Saudiarabien-Rundreise in der Gruppe sowie Kombi-Tour mit al-Ula und Dubai, z.B. bei Hofer Reisen, www.hofer-reisen.at

Reisezeit. Von Oktober bis März, April. Freitag und Samstag ist Wochenende in Saudiarabien, die Arbeitswoche startet am Sonntag. Zu den Gebetszeiten schließen viele Shops (und öffnen danach wieder).

Lektüretipps. Susanne Koelbl: „Zwölf Wochen in Riad. Saudiarabien zwischen Aufbruch und Diktatur“, Penguin.
Stephan Orth: „Couchsurfing in Saudiarabien“, Malik.

Martin Pabst: „Saudiarabien verstehen“, Klett-Cotta.

Sehenswert. Saudiarabien ist ein riesiges Land, fast 26 Mal so groß wie Österreich. Relativ kostengünstige Inlandsflüge erleichtern das Reisen. Zu den Highlights zählen die Stadt al-Ula im Westen mit historischen Bauten und Wüsten-Nähe. Übernachtungstipp: das naturnahe Habitas-Resort. Auch die für Saudi-Maßstäbe liberal geltende Metro- pole Dschidda am Roten Meer ist einen Besuch wert: Zu den Sights gehören die neu gestaltete Waterfront, das Altstadtviertel und die aktive Kunstszene mit vielen Galerien und Freiluftattraktionen.

Compliance-Hinweis. Die Reise erfolgte auf Einladung von Verkehrsbuero Travel/Eurotours.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2023)

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