Das Klima und die „Schlacht von Lützerath“

Emissionen. Am Beispiel Kohleabbau und SUV: In der Klimadiskussion dominiert immer mehr populistische Symbolpolitik auf Nebenschauplätzen. So macht man die Wirtschaft kaputt, ohne dem Klima wirklich groß zu nutzen.

Nun ist die „Schlacht von Lützerath“ auch schon wieder gute zwei Wochen her und die heftige Konfrontation zwischen Klimaaktivisten und dem Energieversorger RWE, zu dem sogar Klima-Ikone Greta Thunberg – nicht ganz standesgemäß im Hybrid-SUV – angereist war, hat sich in Wohlgefallen aufgelöst: RWE darf, wie mit den Stimmen der Grünen in Landesparlament und Bundestag beschlossen, dort noch ein paar Jahre in aller Ruhe Braunkohle abbaggern und in Kohlekraftwerken verfeuern. Die Aktivisten suchen sich neue Ziele.

Während des medienwirksamen Tumults waren von beiden Seiten große Worte geschwungen worden. Von der Notwendigkeit des Kohleabbaus wegen der Gaskrise war auf der einen Seite die Rede. Vom Verfehlen des 1,5-Grad-Ziels, was die Welt sehr bald zu einer unbewohnbaren Gluthölle machen werde, auf der anderen.

Nur von der eigentlichen Kernfrage war wenig zu hören: Um wie viele Tonnen CO2 nimmt der europäische Treibhausgasausstoß eigentlich zu, wenn die Lützerath-Kohle wie geplant verfeuert wird? Das heißt: Wie klimaschädlich ist die Erweiterung des Kohleabbaus dort wirklich?

Die Antwort wäre aus Sicht der Aktivisten ein bisschen desillusionierend und kontraproduktiv gewesen. Sie lautet: Um genau 0,0 Gramm. Kohlekraftwerke unterliegen dem europäischen Emissionshandel. Für jede Tonne verfeuerter Kohle müssen diese CO2-Zertifikate erwerben – die dann anderen fehlen, die das auch gern machen würden. Der Ausstoß ist in Europa also glücklicherweise bereits gedeckelt. Und der Deckel wird sukzessive fester angedrückt.

Negativ wirkt sich das, wenn die Zertifikate im Ausland erworben werden, zugegebenermaßen auf die nationale deutsche Klimabilanz aus. Was aber eher auf die Problematik der nationalen CO2-Rechnerei hinweist, die man übrigens auch an der Zurechnung des sogenannten Tanktourismus sehr schön beobachten kann. Aber das ist eine andere Geschichte.

Wozu also der Zirkus? Offenbar geht es gar nicht um das Klima. Sondern um schön plakative Symbolpolitik, die als Vehikel für den Transport ganz anderer Ziele benutzt werden kann. Etwa den von der Letzten Generation beschworenen System Change.

Ginge es vorrangig um die Vermeidung von Emissionen, dann würde man ja erst einmal dort ansetzen, wo die größten Einsparungseffekte erzielbar wären. Und nicht bei einem klimamäßigen Nullsummenspiel, das dank des marktwirtschaftlichen Instruments der Emissionszertifikate gut wirkt. Wie diese Symbolpolitik abläuft, lässt sich übrigens sehr schön anhand der österreichischen SUV-Diskussion beobachten, in der der berühmte „City-Panzer“ zur Klimabombe schlechthin stilisiert wird. Dass die meisten Exemplare dieser bei heimischen Autokäufern bereits beliebtesten Kfz-Art nicht viel mehr als hochgestellte Kompaktkombis mit sehr durchschnittlichen bis unterdurchschnittlichen CO2-Emissionen sind, spielt da keine Rolle.

Wenn es wirklich darum geht, Verkehrsemissionen zu beschränken, würde ein halbwegs vernunftbegabter Mensch die Klimaschädlichkeit ja am CO2-Ausstoß festmachen. Und nicht an der Bauart. Aber plakativer geht es natürlich umgekehrt.

Selbstverständlich existieren auch SUVs, die dem Klischee vom Klimamonster entsprechen. Bis hin zum (hierzulande freilich kaum anzutreffenden) GMC Yukon, den unser vom Bundespräsidenten ernannter „Klimabotschafter“ vor ziemlich genau einem Jahr in Los Angeles geschrottet hat. (Was uns, das aber nur nebenbei, zum interessanten Phänomen führt, dass die am lautesten von Klimaschutz redenden Promis in der Regel die größten CO2-Sünder sind.) Aber die wären bei einer CO2-Grenze ohnehin weg. So manche Limousine freilich auch.

Wie auch immer: Weil sich bei solcher Symbolpolitik mit Emissionen schlecht argumentieren lässt, verlegt man sich aufs Gewicht: Es sei Wahnsinn, für den Transport von 80 Kilo Mensch 1,6 Tonnen Stahl zu bewegen, heißt es. Das hat was, man darf aber, wenn man als Alternative den Zug sieht, nicht wirklich nachrechnen: Ein voll besetzter Railjet (330 Tonnen, 408 Passagiere) bewegt rund 800 Kilo Stahl pro Passagier, ein voll besetzter Mittelklasse-SUV um die 320. Ein SUV ist selten voll besetzt? Der Railjet auch nicht – und man kann ja nur Gleiches mit Gleichem vergleichen. Über das Mensch-Maschine-Gewichtsverhältnis in schlecht besetzten Regionalzügen breiten wir lieber gleich den Mantel des Schweigens.

Trotzdem wird niemand auf die Idee kommen zu behaupten, es sei umwelt- oder klimafreundlicher, mit dem Auto statt mit dem Zug von Wien nach Salzburg zu fahren. Wieso wird diese Karte dann aber umgekehrt gezogen?

Wie gesagt: Was hier unter Klimapolitik läuft, hat in vielen Fällen sehr viel mit plakativer Symbolpolitik zu tun – und schadet damit einer effizienten Treibhausgasverringerung. Weil es dazu führt, dass die öffentliche Meinung – und damit auch die sensibel auf die vox populi reagierende Politik – auf Nebenschauplätze gelenkt wird.

Konkret: Wenn der Verkehr ein großes Klimaproblem darstellt, dann wird man zuerst wohl versuchen, an den großen Schrauben zu drehen, statt sich in Autobauart-Diskussionen zu verbeißen oder über klimapolitische Nullsummenspiele wie etwa den Tanktourismus (bei dem es klimatechnisch völlig unerheblich ist, welchem beteiligten Land die vertankten Treibstoffmengen zugerechnet werden) große Diskussionen abzuhalten.

Dann wird man beispielsweise wirklich einmal ernsthaft versuchen, den Langstrecken-Güterverkehr durch Schaffung eines konkurrenzfähigen europäischen Bahnsystems auf die Bahn zu bekommen. Womit ein wirklich spürbarer Treibhausgaseffekt erzielbar wäre. Über Feinjustierungen, wie etwa Tempolimits, kann man dann immer noch unaufgeregt reden.

Und dann würde man die Energiewende endlich durch einen gleichzeitigen und koordinierten Ausbau von Wind-, Solar- und Wasserkraftwerken (auch da gibt es noch Potenzial) sowie Netzen und Speichern in Gang bringen. Statt unkoordiniert Einzelmaßnahmen zu setzen. Und vielleicht auch noch marktwirtschaftliche Instrumente wie den Emissionshandel weiter forcieren und Innovation fördern. So kann was weitergehen.

Mit der praktizierten Symbolpolitik macht man nur die Wirtschaft kaputt, ohne dem Klima wirklich groß zu nützen. Freilich: Wenn man Systemwechsel im Hinterkopf hat, ist diese Form der Destabilisierung natürlich eine Idee.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2023)

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