Ein Sittenbild mit 26 Millionen Seiten

ÖVP-U-Ausschuss. Fragwürdige Auftragsvergaben in Ministerien, Interventionen in Steuerverfahren, politische Postenbesetzungen: der Untersuchungsausschuss – eine Bilanz zum Ende.

Wien. Am Donnerstag ist die Beweisaufnahme im ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss zu Ende gegangen – ohne dass im Jänner weitere Zeugenaussagen stattgefunden haben. Grüne und Neos haben ihren Fraktionsbericht bereits präsentiert, die anderen Parteien werden folgen. Und auch der Verfahrensrichter arbeitet bereits am offiziellen Endbericht.

26 Millionen Aktenseiten wurden an den U-Ausschuss geliefert, das ist ein Datenvolumen von 1,7 Terabyte. 46 Sitzungen wurden abgehalten, 218 Stunden lang Zeugen befragt. Und die Bilanz? Der U-Ausschuss lieferte zweifellos ein Sittenbild von fragwürdigen bis strafrechtlich relevanten Vorgängen in der Verwaltung. Manches davon hat der U-Ausschuss selbst aufgedeckt, anderes war schon in Grundzügen bekannt, aber nun mit mehr Details versehen. Anderes wiederum stand schon in den Akten der Staatsanwaltschaft, ist nun aber auch öffentlich bekannt geworden.

Aufträge für Freunde

Demox, Media Contacta und Campaigning Bureau. Drei Firmen, eine Gemeinsamkeit: Es handelt sich um Unternehmen aus dem ÖVP-Umfeld, gegründet von ehemaligen ÖVP-Mitarbeitern oder solchen, die für die ÖVP im Wahlkampf aktiv sind. Und alle drei haben von ÖVP-Ministerien hinterfragenswerte Aufträge bekommen.

Demox beispielsweise machte Umfragen, bei denen etliches abgefragt wurde, was nicht so sehr für das Ministerium, wohl aber für die ÖVP relevant ist. Eine illegale Parteienfinanzierung auf Steuerkosten? Demox bestreitet das. Aber: Umfrageergebnisse wurden dann sehr wohl von der ÖVP im Wien-Wahlkampf verwertet.

Media Contacta macht Wahlkämpfe für die ÖVP Niederöstereich – und bekommt von Ministerien Aufträge, deren Kosten doch recht hoch scheinen. 28.000 Euro zahlte das Wirtschaftsministerium beispielsweise für eine Pressekonferenz und 231.000 Euro für das „Familienfest“ in Schönbrunn, bei dem vor allem türkise Minister auftraten. Fälle von Querfinanzierung? Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Auch das Leitbild, das Ex-Familienministerin Sophie Karmasin für das Wirtschaftsministerium erstellte, erscheint mit 125.000 Euro fürstlich bezahlt – auch angesichts eines eher schlichten Resultats.

Steuerservice für Freunde

„Wir sind die Huren der Reichen“, hatte der Generalsekretär des Finanzministeriums, Thomas Schmid, selbstironisch an einen Mitarbeiter des Ministerkabinetts geschrieben. Genau so sind einige Steuerverfahren auch abgelaufen – dafür liefert dieser U-Ausschuss eine gute Dokumentation. Die Unternehmer Siegfried Wolf und René Benko, beide in einem Naheverhältnis zur ÖVP, erhielten bei ihren Steuerproblemen eine Sonderbehandlung: Generalsekretär, Kabinett und auch der Minister selbst schalteten sich in die Steuerverfahren ein, zahlreiche Interventionen sind dokumentiert.

Posten für Freunde

Schon beim vorangegangenen U-Ausschuss war eine „Interventionsliste“ im Kabinett von Innenminister Wolfgang Sobotka eines der Themen. Darum ging es auch diesmal – und um andere Postenbesetzungen, bei denen fachliche Qualifikation nicht die Hauptrolle spielte. Ein Fall, zu dem es auch strafrechtliche Ermittlungen gibt, ist die Besetzung des Finanzamts in Braunau, bei der ein ÖVP-Bürgermeister den Vorzug gegenüber einer fachlich weit besser qualifizierten Bewerberin erhielt. ÖVP-Klubchef August Wöginger hatte für den Parteifreund interveniert, Finanzministeriums-Generalsekretär Thomas Schmid die Fäden gezogen, damit dieser von der Begutachtungskommission ausgewählt wird. Gegen Schmid, Wöginger, die Mitglieder der Begutachtungskommission und auch Ex-Finanzminister Hans Jörg Schelling laufen Ermittlungen.

U-Ausschuss-Blockade

Als Karl Nehammer im U-Ausschuss befragt wurde, kam der Kanzler selbst kaum zu Wort. 51 Prozent der Befragungszeit wurden mit Geschäftsordnungsdebatten verbracht, die meisten der 129 Wortmeldungen kamen von der ÖVP. Die zeigte vor, wie man einen U-Ausschuss lahmlegen kann: mit Zeugen, die Fragen einfach nicht beantworten, mit einer Fraktion, die selbst banalste Fragen ablehnen und endlose Geschäftsordnungsdebatten dazu abhalten kann, bis die Befragungszeit endet. Bei Ex-Kanzler Sebastian Kurz beispielsweise bekamen überhaupt nur drei der fünf Fraktionen die Möglichkeit, Fragen zu stellen.

Es gab aber auch andere Befragungen: Beamte aus Ministerien, die offensichtlich froh waren, ihre Sicht der Dinge schildern zu können über Interventionen aus den politischen Kabinetten der Minister. Da konnte man tatsächlich etwas erfahren, anders als bei den Politikerbefragungen, die teilweise auch aus recht durchsichtigen Gründen angesetzt wurden. Es war sicher kein Zufall, dass Tiroler Politiker vor der Tirol-Wahl und niederösterreichische Politiker vor der Niederösterreich-Wahl geladen waren.

Bedenklich ist die Blockade am Ende des U-Ausschusses: Da setzte der Vorsitzende, Wolfgang Sobotka (ÖVP), keine Ausschuss-Termine mehr an, weil die Fraktionen sich nicht auf solche einigen konnten, was wiederum daran lag, dass die ÖVP nicht wollte. Auf die Art lässt sich ein U-Ausschuss gänzlich lahmlegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2023)

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