Bergungsarbeiten

Teenager überlebte 182 Stunden nach Beben in der Türkei unter Häusertrümmern

Kaum mehr gibt es gute Nachrichten aus Hatay in der Türkei, vereinzelt werden aber immer noch Überlebende aus den Trümmern gezogen.
Kaum mehr gibt es gute Nachrichten aus Hatay in der Türkei, vereinzelt werden aber immer noch Überlebende aus den Trümmern gezogen.REUTERS
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Eine Woche nach dem Beben konnte ein 13-Jähriger in der Provinz Hatay aus den Trümmern eines Hauses gerettet werden. Doch die Hoffnung auf Überlebende schwindet, die Opferzahl ist auf über 37.500 gestiegen.

Auch eine Woche nach dem katastrophalen Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet steigen die Todeszahlen unaufhörlich. Zwar wurden auch am Montagmorgen noch Menschen aus den Trümmern gerettet, doch die Hoffnung auf Wunder wie diese ist zusehends dahin. Die Zahl der bestätigten Toten liegt inzwischen bei mehr als 37.500, mehr als 80.000 Menschen wurden verletzt. UNO-Nothilfekoordinator Martin Griffiths, der am Montag in Aleppo eintraf, rechnet mit bis zu 50.000 Toten. Die Soldaten des österreichischen Bundesheeres packten am Montag in der Türkei zusammen.

Es gibt aber immer noch erfolgreiche Rettungsaktionen, diese allerdings immer seltener. Am Montag zogen Rettungskräfte einen überlebenden
13-Jährigen aus den Trümmern eines eingestürzten Gebäudes in der südlichen türkischen Provinz Hatay aus den Trümmern eines eingestürzten Gebäudes, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters - mehr als eine Woche nach dem Beben.

Der Teenager hielt die Hand eines Retters, als er auf eine Bahre gelegt wurde, den Kopf gestützt und zum Wärmen zugedeckt, bevor er in einen Krankenwagen gebracht wurde.

Türkei meldet über 30.000 Tote, Tendenz steigend

Alleine in der Türkei gebe es inzwischen 31.643 Todesopfer, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Montag unter Berufung auf die Katastrophenschutzbehörde Afad. Mehr als 80.000 Menschen wurden demnach verletzt. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO beträgt die Opferzahl in Syrien mindestens 5900.

Tausende Menschen werden noch vermisst. Auch nach 175 Stunden oder mehr unter Trümmern wurden noch vereinzelt Menschen gerettet. In der Provinz Hatay sei am Montagmorgen eine Frau lebend geborgen worden, berichtete die Tageszeitung "Hürriyet" - eine weitere Person nach 176 Stunden. Auch aus der Provinz Gaziantep gab es gute Nachrichten: Die Retter holten eine 40-Jährige nach 170 Stunden lebend aus der Ruine eines fünfstöckigen Hauses, wie der Staatssender TRT berichtete. Überlebende, die jetzt noch gefunden werden, müssen Zugang zu Flüssigkeit gehabt haben - etwa zu Regenwasser, Schnee, Vorräten oder anderen Quellen. Normalerweise kann ein Mensch etwa 72 Stunden ohne Wasser auskommen, danach wird es lebensbedrohlich.

Soldaten des Bundesheers kehren heim

Unterdessen beenden internationale Hilfsorganisationen ihren Einsatz im Krisengebiet. Auch die Soldaten des Bundesheeres packten am Montag in der Türkei zusammen, der Rückflug soll aber erst am Donnerstag erfolgen. Die Helfer wurden am Sonntag zu keinem Einsatz mehr angefordert. Ein Rettungs- und Bergeteam bleibt für etwaige Anforderungen bis Montagmittag einsatzbereit.

Seit Dienstag waren 82 Soldatinnen und Soldaten in der schwer betroffenen türkischen Provinz Hatay. Am Montag begannen die Soldaten der sogenannten Austrian Forces Disaster Relief Unit (AFDRU) mit dem Abbau des Feldlagers. Die Rettung von Menschen werde "aufgrund der fortgeschrittenen Zeit immer unwahrscheinlicher", sagte Einsatzleiter Bernhard Lindenberg. Im Laufe des Tages werden die Soldatinnen und Soldaten nach Adana fahren und "dort mit der Rückorganisation beginnen", berichtete Oberstleutnant Pierre Kugelweis der APA. 43 Tonnen Spezialausrüstung inklusive fünf Fahrzeuge müssen für die Rückreise vorbereitet werden.

In Adana werden die Einsatzkräfte in einem Hotel unterkommen. Geplant ist, dass der "belastende Einsatz mit Militärpsychologen verarbeitet wird", sagte Kugelweis. Die Stimmung unter den Soldaten "ist gut, wir sind sehr stolz, dass wir neun Menschenleben retten konnten", berichtete der Oberstleutnant und erinnerte daran, dass es schon Erdbebeneinsätze gegeben habe, wo niemand gerettet wurde. "Das gibt uns sehr viel Kraft", sagte Kugelweis, ebenso die "Dankbarkeit der Bevölkerung, die ist riesig. Es ist sehr berührend, wenn durch das Beben obdachlos gewordene Menschen uns umarmen und die Hand schütteln, das entschädigt für sehr viel Belastungen", berichtete der Soldat.

Flughafen Hatay öffnet wieder

Während die Rettungsarbeiten weiter laufen, wurde der Flughafen in der südosttürkischen Provinz Hatay wieder in Betrieb genommen. Die halbstaatliche Fluggesellschaft Turkish Airlines twitterte am frühen Montagmorgen, Einwohner des Erdbebengebietes könnten Plätze in kostenlosen Evakuierungsflügen buchen. Der Flughafen in Hatay war bei dem Beben stark beschädigt worden. Am frühen Montagmorgen vor einer Woche hatte das erste Beben der Stärke 7,7 um 2.17 Uhr MEZ die Region erschüttert, Stunden später folgte ein zweites schweres Beben der Stärke 7,6.

In der Türkei schlägt vielerorts die Trauer in Wut um. Die Menschen fragen sich auch, weshalb so viele Gebäude einstürzen konnten. Erste Haftbefehle wurden erlassen. Die Beschuldigten sollen für Baumängel verantwortlich sein, die den Einsturz der Gebäude begünstigt hätten, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf Strafverfolger. Experten kritisieren, dass Bauvorschriften für mehr Schutz vor Beben nicht umgesetzt werden. Die Opposition macht die Regierung für den Pfusch am Bau verantwortlich.

Opposition kritisiert Erdogan

Der türkische Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu warf dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der seit 20 Jahren an der Macht ist, am Sonntag einmal mehr vor, das Land nicht auf solch ein Beben vorbereitet zu haben. Er kritisierte zudem, dass die Regierung im Jahr 2018 eine Bau-Amnestie erlassen habe, mit der illegal errichtete Gebäude gegen Strafzahlung im Nachhinein legalisiert worden seien. "Sie haben die Häuser, in denen die Menschen leben, zum Friedhof gemacht und dafür noch Geld genommen", sagte der Oppositionsführer.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte Erdogan in einem Telefonat am Sonntag die Lieferung von weiteren Zelten, Decken und Heizvorrichtungen zu.

Besonders schwierig ist die Situation im Bürgerkriegsland Syrien. Dort warnte die Hilfsorganisation SAMS eindringlich davor, in zerstörte Häuser zurückzukehren. In der Kleinstadt Dschindiris sei eine schwangere Frau wenige Stunden nach den Erdstößen leicht verletzt aus einem halb eingestürzten Haus gezogen worden, berichtete die in den Rebellen-Gebieten aktive Hilfsorganisation. Nach der Geburt ihres Kindes sei sie zurück in das Haus. Während eines Nachbebens stürzte das Gebäude demnach schließlich ganz ein. Die Frau sei ebenso wie das Baby schwer verletzt ins Krankenhaus gekommen.

WHO wartet mit Hilfsgütern für Syrien auf Genehmigung

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Konvois mit Erdbeben-Hilfe für die Rebellengebiete in Nordwest-Syrien bereit, wartet aber noch auf die Ausliefergenehmigung. Die Regierung in Damaskus habe eine umfassende Genehmigung gegeben, Konvois aus Gebieten unter Regierungskontrolle in Rebellengebiete zu bringen, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus am Sonntag in der syrischen Hauptstadt Damaskus. "Wir sind bereit, wir warten darauf, von der anderen Seite zu hören", sagte Tedros. Das Gebiet um Idlib ist unter Kontrolle von Milizen.

Die in Nordwest-Syrien tätige humanitäre Hilfsorganisation Weißhelme hatte sich am Freitag darüber beschwert, dass bis dahin praktisch keine UNO-Erdbebenhilfe in der Region angekommen sei. Nach Angaben von Tedros hat der syrische Präsident Bashar al-Assad ihm in Aussicht gestellt, wegen der Notsituation weitere Grenzübergänge zwischen dem Nordwesten und der Türkei zu öffnen.

(APa/dpa)

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