Der ökonomische Blick

Kein Lückenschluss bei Klima und Energie?

(c) Peter Kufner
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Österreich hat sich für 2040 das Ziel der Klimaneutralität gesetzt. Doch es steckt in der Falle vorschneller Festlegungen.

Wie groß die Lücke des Handelns bei Energie und Klima wirklich ist, zeigt eine einfache, wenig bekannte Rechnung. Laut Regierungsprogramm verbleiben 18 Jahre bis zum Ziel eines klimaneutralen Österreich im Jahr 2040. Kaum die Hälfte des Weges zu diesem Ziel wäre nach einem derzeit unvorstellbaren völligen Ausstieg aus Fossilen bei Pkw, Gebäuden, Elektrizität und Wärme bewältigt. Für die restliche Wegstrecke wäre vor allem die energie- und emissionsintensive Industrie radikalen Innovationen auszusetzen. Dafür gibt es jedoch noch weniger Orientierungen als für die zuvor genannten Bereiche.

Am Ende des Jahres eins des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine ist die Bilanz für den Umgang mit Energie in Österreich ernüchternd. Beim sensitiven Energieträger Erdgas hat Österreich im vergangenen Jahr nur zwei Drittel der für die gesamte EU gemessenen Verbrauchsreduktion geschafft. Gegenüber Deutschland ist der Abstand noch größer. Alarmierend ist der kräftige Anstieg des Einsatzes von Erdgas für Elektrizität. Allein die prekäre geopolitische Situation sollte zu einer radikalen Neukonstruktion unseres Umgangs mit Energie und Rohstoffen motivieren. Die Fakten verweisen jedoch auf ein Verweilen in der Falle vorschneller Festlegungen. Diese werden in einer Reihe von Lücken im Verständnis und Verhalten in der politischen Praxis sichtbar.

Jede Woche gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften. Ab sofort liefert auch die seit 2019 in Wien ansässige CEU ("Central European University") Beiträge zum Blog. 

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Die verdrängte Lückenbilanz

• Lücke eins erinnert an die nötigen massiven Reduktionen bei der Verwendung von Energie, ohne die ein zukunftsfähiges Energiesystem undenkbar ist. Gelegentliche Aufrufe zum Energiesparen sind nicht ausreichend, weil sie oft als Komfortverlust verstanden werden. Gemeint ist aber eine Vervielfachung von Effizienz und Produktivität von Energie, was in vielen Fällen ohne Einschränkungen beim energetischen Komfort möglich wäre. Das Potenzial verfügbarer Optionen reicht von effizienterer Bereitstellung von Wärme und Elektrizität bis zu optimierenden Steuerungen bei der Verwendung von Energie.

• Lücke zwei verweist auf ein neues Verständnis für Bauen und Gebäude, das die simplen und unscharfen Indikatoren des Regierungsprogramms, wie Renovierungsraten oder Ausstiegsjahre für fossile Heizungen, ablöst. Essenziell für die neuen Konzepte ist der Übergang von einzelnen Gebäuden zu als Quartiere zusammengefassten Baubeständen. Diese charakterisieren kurze Wege für Mobilität durch eine gemischte Nutzung für Wohnen, Arbeiten und sonstige Aktivitäten. Das bewusst lokalisierte Energiesystem unter der Bezeichnung Energie-Hub wird zu einem hohen Anteil von lokal und regional bereitgestellter Elektrizität aus Erneuerbaren gespeist. Neu sind die als Anergienetze bezeichneten Niedertemperaturnetze für Wärme und Kühlen, die lokale Geothermie mit Recycling von Abfallwärme verbinden. Alle Komponenten eines solchen Energie-Hubs, von den PV-Paneelen bis zur Temperierung der Räume, sind über ein optimierendes IT-Netz gesteuert. Dieses Verständnis erfordert einen neuen Umgang mit Flächenwidmungen, Baugenehmigungen und Förderprogrammen.

• Lücke drei betrifft die zukunftsfähige Transformation von Produktion und Industrie sowie die Notwendigkeit resilienter Lieferketten. Noch wird nicht ausreichend wahrgenommen, dass die Industrie ein ähnliches Volumen an Treibhausgasemissionen verantwortet wie der gesamte Verkehr. Bei Stahl, Zement und Kunststoffen zeichnet sich ein globaler Wettlauf zu radikalen Innovationen und klimaneutraler Technologie ab. Der Schlüssel liegt in cross-sektoralen Kohlenstoffkreisläufen, energetisch angetrieben durch Erneuerbare. Zwei Weichenstellungen entscheiden hier über die künftige Konkurrenzfähigkeit. Erstens eine weitgehende Kreislauffähigkeit aller materiellen Ressourcen, insbesondere auch von Kohlenstoff in CO2-Emissionen zur Weiterverarbeitung für Kunststoffe. Zweitens die Verfügbarkeit von großen Mengen an Energie aus erneuerbaren Quellen.

• Lücke vier macht auf mangelndes transnationales Engagement Österreichs für neue Energien aufmerksam. Auch wenn es gelingen sollte, bis 2030 das jetzige Volumen an Erneuerbaren national um ein Drittel zu erhöhen und den gesamten Energieverbrauch um ein Fünftel zu reduzieren, wäre weiterhin die Hälfte der verbleibenden Energiemenge durch inländische oder importierte Energien aus Fossilen und Kernenergie zu bedecken. Als Alternativen bieten sich transnationale Kooperationsmodelle an, bei denen sich Staaten wie Österreich in Regionen mit reichlichen Erneuerbaren aus Wind und Fotovoltaik engagieren. Solche Kooperationen werden etwa von Deutschland in Namibia betrieben. Wie die in diesen Ländern erzeugte Energie dann nach Österreich gebracht werden kann, ist offen. Ausscheiden dürften jedenfalls kurz- und mittelfristig Direktleitungen und Pipelines für reinen Wasserstoff. Rascher umsetzbar könnten Konversionen zu synthetisch-erneuerbaren gasförmigen oder flüssigen Energieträgern („grünes“ Methan oder Methanol) sein, trotz der Verluste, die mit diesen Umwandlungen verbunden sind. Grünes Methan könnte mit gewissen Anteilen an grünem Wasserstoff in bestehenden Pipelines und Speichern transportiert und gelagert werden.

Die karge Innovationsbilanz

Die skizzierten Lücken decken die Fallen von vielen politischen Festlegungen auf. Für den Bedarf an Erneuerbaren reichen nicht nationale Ausbauziele, sondern deren Verbindung mit den tiefgreifenden Transformationen bei Gebäuden, Industrie und Produktion. Ähnliches gilt für das Verkehrssystem, wo allein die Forcierung von elektrischen Antrieben noch keine bedarfsorientierte, zukunftsfähige Mobilität sicherstellt. Auch wird Energie immer stärker mit der Orientierung zu kreislauforientierten Produkten und Prozessen zu verbinden sein. Dafür wären transnationale Kooperationen vorzubereiten.

Der öffentliche Sektor sollte sich somit weniger als Kaskoversicherer für Energiepreisschäden, sondern als ein Ermöglicher für radikale Transformationen verstehen. Dafür wären zielorientierte Anreize zu setzen, wie Tarife mit einem Bonus für reduzierte Verbräuche bei Elektrizität, Gas und Fernwärme oder ein Gratis-Klimaticket bei Aufgabe eines Autos.

Darauf scheinen die politischen Mechanismen noch wenig vorbereitet zu sein, wie die Gießkannen-Ausschüttung zur Kompensation von Energiekosten für Haushalte und Unternehmen zeigt. Bruchteile dieser Summen würden für zwei neue Finanzierungsinstrumente ausreichen: einen Energieeffizienz-Fonds für Haushalte und Unternehmen, der nachgewiesene Verbesserungen bei der Energieproduktivität belohnt; weiters ein Innovations- und Transformationsfonds für die Industrie zur Abfederung der Risken bei den langfristigen radikalen Transformationen. Damit wären wirksame Schritte zur Umsetzung des Regierungsprogramms in Richtung Klimaneutralität 2040 gesetzt.

Die Autoren

Stefan P. Schleicher ist Professor am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel an der Karl-Franzens-Universität in Graz und Konsulent am Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo.

Reinhold W. Lang ist Professor für Polymerwerkstoffe an der Johannes Kepler Uni Linz. Er ist Mitglied des Vorstandes von AEE INTEC Gleisdorf und des Advisory Committee von PlasticsEurope.

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