Inflation

Wie weit müssen die Zinsen in der Eurozone steigen?

Gebäude der Europäischen Zentralbank (EZB)
Gebäude der Europäischen Zentralbank (EZB)(c) APA/AFP/DANIEL ROLAND
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Marktteilnehmer erwarten, dass der Leitzins im Euroraum auf vier Prozent steigen wird. Das reicht nicht annähernd, sagt die Agenda Austria mit Verweis auf die Kerninflation.

Erwartungen sind die harte Währung der Geldpolitik. Erwarten Arbeitnehmer etwa dauerhaft steigende Preise, bestehen sie auf höheren Lohnabschlüssen. Bei höheren Zinsen werden Häuslbauer bei der Kreditaufnahme zögerlicher. Die Beispiele zeigen, wie die Europäische Zentralbank (EZB) das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage und damit auch die Preise beeinflussen kann: indem sie mit Taten – wie Zinsschritten – und Worten – „whatever it takes“ – Preis-Erwartungen beeinflusst.

Das erklärt, weshalb für die EZB so wichtig ist, als glaubwürdig zu gelten. Glauben Marktteilnehmer einmal, dass sie die Situation nicht mehr im Griff hat, droht die Inflation sich zu verfestigen. Und dass es um die Glaubwürdigkeit der EZB aktuell eher mau bestellt ist, zeigt laut einem neuen Papier der Agenda Austria schon allein, wie oft deren Inflationsprognose zuletzt danebenlag. So erwartete die von Christine Lagarde geführte Institution im Juni noch eine Inflation von 3,5 Prozent für 2023, im Dezember lag die Prognose nach mehrfachen Korrekturen schon bei 6,3 Prozent.

Aber nicht nur ein Glaubwürdigkeitsproblem sieht Marcell Göttert, Ökonom beim wirtschaftsliberalen Thinktank. Auch zu langsames Handeln. Hat die US-Notenbank Fed im März 2022 mit der Zinswende begonnen, zog die EZB erst im Juli nach. Ein Verzug, der teuer werden könnte. Denn die Vergangenheit zeige, dass es Jahre dauern kann, bis die einmal stark gestiegene Inflation wieder unter Kontrolle ist und dem EZB-Ziel von zwei Prozent entspricht.

Sieben Prozent in Schritten

Göttert untermauert die These mit Verweis auf historische Indikatoren, die um schwankende Preise von Energie und Lebensmitteln bereinigt wurden: die Kerninflation und den realen Leitzins. Als in den 1970er-Jahren in den USA die Differenz zwischen Kerninflation und realem Zins auf 17 Prozentpunkte gestiegen war, dauerte es acht Jahre, um die Differenz auf vier Prozentpunkte zu senken. In der Eurozone betrug die Differenz der beiden Indikatoren im Jänner 2022 vier Prozentpunkte, im Oktober war sie bereits auf elf Punkte angestiegen.

Allgemein erwartet wird, dass die EZB den Leitzins im laufenden Jahr auf vier Prozent erhöhen wird und ihn, sollte die Inflation hinreichend zurückgehen, dann schrittweise wieder absenken wird. Um die Inflation wirklich in den Griff zu bekommen, müsse der Leitzins aber schrittweise angehoben werden, bis er die Kerninflation übersteigt, so Göttert. Aktuell wäre das bei einem Niveau von sieben Prozent der Fall. Wobei der Ökonom erwartet, dass die Kerninflation – auch wegen des Glaubwürdigkeitsproblems der EZB – noch weiter steigen dürfte.

Immobilienpreise als Warnung

Auch sei die EZB mitschuldig an der aktuellen Teuerung. Die jahrelang lockere Geldpolitik der EZB habe nachfrageseitig das Fundament für die galoppierende Inflation gelegt. Die jüngsten Krisen haben dann auch noch angebotsseitig für massive Verknappungen gesorgt, etwa bei Energie. Die seit 2005 steigenden Immobilienpreise hätten der EZB laut Göttert als Warnung dienen können, sie wurden in den für die Notenbank relevanten Preisindizes aber nicht berücksichtigt. Künftig will die EZB auch den Immobilienmarkt im Auge behalten.

Die Agenda Austria fürchtet, dass die Inflation gekommen ist, um vorerst zu bleiben – wie übrigens auch 85 Prozent der Österreicher, so eine Umfrage der Erste Bank. Die zuletzt auch den Börsen spürbare Euphorie über bessere Wachstumsaussichten sei verfrüht, warnte etwa der Kreditversicherer Coface - die „Presse“ berichtete. Chinas Comeback berge Risiken für Europa, und selbst wenn alles gut läuft, werde die Inflation noch lange hoch bleiben.

Und auch der heimische Kreditversicherer Acredia blies am Mittwoch ins selbe Horn. Die Zielgerade im Wettlauf gegen die Inflation sei noch nicht erreicht: „Wer auf einen raschen Sprint bei der Zinswende gehofft hatte, wird enttäuscht werden. Derzeit schaut es eher nach einem Marathon aus“, sagt Gudrun Meierschitz, Vorständin bei Acredia.

Keine Normalisierung im Jahr 2024

Die EZB selbst rechnet beispielsweise 2024 noch mit einer erhöhten Teuerung. Wobei Spaniens Notenbank-Chef, Pablo Hernandez de Cos, jüngst sagte, dass die Inflation in der Eurozone schneller zurückgehen könnte als bisher gedacht.

Die Agenda Austria empfiehlt jedenfalls, auf Maßnahmen zu verzichten, die die Inflation noch zusätzlich anheizen. Die EZB solle aus Staatsanleihen aussteigen, die Anleihekäufe haben massiv Geld in den Wirtschaftskreislauf gepumpt. Regierungen sollten nur gezielt helfen anstatt auf die Gießkanne zu setzen. Österreich hat laut dem Brüsseler Thinktank Bruegel gemessen an der Wirtschaftsleistung vergleichsweise viel für Antiteuerungsmaßnahmen ausgegeben – oft nach dem Prinzip Gießkanne.

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