Debatte

Zwölf Leserstimmen – ein Jahr nach Ausbruch des Kriegs in der Ukraine

Im Online-Forum der „Presse“ und auf den Leserbriefseiten wird über den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und die Folgen heftig diskutiert. Eine aktuelle Auswahl von Lesermeinungen.

Was Leserinnen und Leser der „Presse" über die aktuellen Entwicklungen im Ukraine-Krieg denken. Eine Auswahl ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Ein Sieg Wladimir Putins wäre fatal

In der Diskussion über die militärische Unterstützung des Westens vermisse ich bei vielen Leserbriefschreibern schmerzlich die Verurteilung des unbegreiflichen Angriffskriegs Putins und dessen Volksmord in der Ukraine. Russland ist Aggressor, Kriegstreiber, das Land, das für seine imperialistischen Ziele, die Eroberung eines souveränen und unabhängigen Nachbarlands, das Völkerrecht mehrfach gebrochen hat. Das überfallene Land setzt sich doch nur zur Wehr!
Die Assoziation, dass Gewalt Gegengewalt verursacht, weil Deutschland dankenswerterweise Panzer liefert, ist in diesem Fall eine Verdrehung der Tatsachen. Es spielt keine Rolle, wie sich die Ukraine verteidigt, Putins Bomben fliegen ganz unabhängig von Verteidigungsstrategien in Wohnhäuser, Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen und in die Energieinfrastruktur. In Anbetracht dieser traurigen Realität kann nicht das angegriffene und teilweise zerstörte Land für eine Beendigung des Kriegs mit in die Verantwortung genommen werden. Machthaber Putin kann und müsste diesen Krieg beenden!
Ein Sieg des Diktators, den ich mit den grausamsten Menschen in der Geschichte gleichsetze, wäre fatal. Ich will mir gar nicht ausmalen, was dann noch alles auf uns zukommen könnte. Die westlichen Verbündeten haben die moralische Pflicht, militärisch vollständige Unterstützung zu liefern, bis sämtliche kriegerischen Ressourcen Russlands aufgebracht sind. Frieden für die Ukraine ist nur akzeptabel, wenn das gepeinigte Land sein gesamtes Staatsgebiet zurückerhält und die verantwortlichen Kriegsverbrecher zur Rechenschaft gezogen werden. Dieses Volk kämpft heroisch für seine Heimat, aber auch für Frieden, Freiheit und Demokratie in Europa und dem Rest der Welt!
Andreas Lener, 6179 Ranggen

Putin wird keinen Frieden ohne Erfolg akzeptieren

Ich kann mir nicht erklären, warum Deutschland Panzer an die Ukraine liefert. Und diese Lieferung erfolgt auf einmal artig und folgsam, das, worum Selensky schon seit Monaten gebeten hatte. Deutschland rückt damit tiefer ins Kriegsgeschehen. Das empfinde ich als sehr eigenartig, weil die Kritik am Zustand der Deutschen Bundeswehr vor kurzem verheerend ausfiel. Auch wenn ich auf einen baldigen Frieden hoffe, ich stimme nicht so euphorisch in den Kanon mit ein, dass die Ukraine siegt. Es wird hier vergessen, dass Putin keinen Frieden ohne Erfolg akzeptieren kann, weil er sonst als Kriegsverlierer für all die Gefallenen russischen Soldaten und begangenen Kriegsverbrechen zur Verantwortung gezogen wird. Ebenso wird dabei nicht berücksichtigt, dass es die Ukraine bei einem massiven Angriff aller russischen Truppen schwer haben wird zu siegen. Und: Russland besitzt Atomwaffen und kann das Kriegsrecht ausrufen. Noch eins: Wird die USA im Ernstfall Deutschland beschützen oder kämpfen lassen?
Staubinger, im Forum von diepresse.com

Angst vor Drittem Weltkrieg nicht berechtigt

Die Angst vieler Menschen vor einem 3. Weltkrieg ist verständlich, sie ist aber nicht berechtigt. Das Prinzip der Abschreckung funktioniert seit 1945, an den Voraussetzungen hat sich nichts geändert. Wer als Erster schießt stirbt als Zweiter. Außerdem würde Russland im Fall eines Erstschlags seine letzten Freunde, China und Indien, verlieren. Anderseits sind wir gerade zur Verhinderung eines 3. Weltkriegs dazu verdammt Russland zu stoppen. Wir können nur froh sein, dass die Ukrainer so kämpfen, wir müssen sie auf erdenkliche Art unterstützen.
Alexander Pflaum, im Forum von diepresse.com

Tausende zusätzliche Opfer

Ich finde das halbherzige Helfen des Westens für die Ukraine nicht richtig. Durch zu langsame Hilfen werden tausende zusätzliche Kriegsopfer geschaffen. Inzwischen ist doch klar, dass der meistgehasste Mann der Welt den ganzen Westen destabilisieren will. Natürlich ist es ein Balanceakt, damit kein Weltkrieg entsteht, aber ohne Risiko geht es auf beiden Seiten nicht.
Wie wären gemeinsame militärische Manöver von westlichen Staaten mit der Ukraine auf derem Staatsgebiet? Die Lufthoheit für die Ukraine ist dabei eine wichtiges Ziel.
Mank, im Forum von diepresse.com

Ein psychologischer Grund

Das zögerliche und schrittweise Erhöhen des Militäreinsatzes hat mMn auch einen psychologischen Grund: Nämlich zu verhindern, Russland zu einer unüberlegten Panikreaktion mit Atomwaffen zu bringen, indem man gleich schlagartig aufs Ganze gegangen ist. Strategisch setzt man auf den "Tod durch tausend Schnitte". Den Gegner also langsam an die zunehmende Erhöhung des Einsatzes zu gewöhnen und ihn so langsam verbluten zu lassen.
Hinzu kommt mMn auch, dass die Ukraine für die USA auch ein wertvolles Experimentierfeld sind. Denn der letzte Krieg gegen eine konventionelle Armee ist für sie auch schon 20 Jahre her (Irakkrieg) und wurde noch ohne Drohnentechnologie und mit klarer Luftüberlegenheit geführt. Die USA können hier also die Wirksamkeit neuer Waffentechnologie gegen einen Gegner testen, dessen Waffentechnologie wiederum Grundlage der chinesischen Waffentechnologie ist. Ich denke das sind die Hauptgründe für die angezogene Handbremse.
Gerald, im Forum von diepresse.com

Deutsche gehen ein großes Risiko ein

Die Deutschen gehen ein großes Risiko ein. In bald einem Jahr Krieg hat es laut Wikipedia gut 100.000 tote Russen gegeben - und die nächsten 100.000 toten Russen wird es wohl unter Mitwirkung deutscher Panzer geben. Nicht dass der russische Staat nicht selber schuld wäre, aber so wird es dort nicht wahrgenommen werden. Dort sitzen dann 200.000 russische Eltern, die oft das einzige Kind verloren haben und sich fragen, wieso man nicht einmal die eine oder andere Rakete abschießen sollte. FR oder die USA werden sie nicht beschießen, weil die zurückschießen würden. Grundsätzlich ist die Waffenlieferung an die Ukraine richtig, um den Überfallenen zu helfen, aber wenn die Kosten moralischen Handelns unverhältnismäßig hoch sind, ist es unmoralisch, moralisch zu handeln (Erzherzog Ferdinand etc.). Für ein paar ostukrainische Dörfer würde ein anständiger Politiker kein Armageddon riskieren. Versponnene Präventiv- und -Domino-Theorien sind übrigens auch nichts Neues.
ShaolinFranklin, im Forum von diepresse.com

Kampfpanzer verlängern Tod und Zerstörung

Wenn man die Kritik an westlichen Waffenlieferungen grundsätzlich für inakzeptabel hält, denkt man die Sache von der anderen Seite her nicht zu Ende. Immerhin sterben in diesem unsäglichen Krieg laufend Tausende Menschen. Ist das vielleicht ethisch unerheblich? Daher müssten Waffenlieferungen zumindest an die Bedingung einer grundsätzlichen Verhandlungsbereitschaft geknüpft werden. Und hier ist die Diplomatie leider komplett auf Tauchstation.
Natürlich kann man den Standpunkt vertreten, die Ukraine als Angriffsopfer könne allein bestimmen, ob verhandelt wird. Natürlich kann man darauf bestehen, solang sich Russland nicht komplett hinter die Vorkriegsgrenzen zurückgezogen hat, sei kein Gespräch möglich. Aber so ist leider noch kaum ein Territorialkrieg der Geschichte beendet worden. Solang Europa nicht auch die Diplomatie sprechen lässt, wird das Schlachten kein Ende haben.
Wir brauchten dringend einen neuen Wiener Kongress (Austragungsort egal), auf dem die Stabilität Gesamteuropas wiederhergestellt wird. Gesucht sind begnadete europäische Staatsfrauen und Staatsmänner, die sich offensiv als Vermittler in Stellung bringen und dabei von keiner Seite abwimmeln lassen. Nur das kann Frieden bringen, Kampfpanzer verlängern Tod und Zerstörung.
Prof. Mag. Wolfgang Muth, 6080 Igls

Russland wird nicht von der Karte verschwinden

Natürlich ist Russland der Aggressor und die Ukraine muss sich verteidigen. Allen Parteien und auch uns muss aber klar sein, dass es eine Zeit nach dem Krieg gibt und Russland nicht einfach von der Landkarte verschwindet. Für ein zukünftiges Arrangement ist es - neben der Bereitschaft Russlands - auch nötig, dass man die Ukraine dazu bringt, unrealistische Ziele nicht weiterzuverfolgen. Eine Rückeroberung der Krim mithilfe westlicher Waffenlieferungen ist zwar denkbar, kann aber im Desaster enden, weil in dem Fall Eskalationen drohen (russischer Atomwaffenangriff auf Kiew?), die wir uns nicht wünschen sollten. Die USA werden wegen der Ukraine keinen Dritten Weltkrieg beginnen.
Dr. Wolfgang Reisinger, Univ.-Lektor, 1140 Wien

Es geht nicht darum, Russland auszulöschen

Wolfgang Reisinger meint völlig zu Recht, dass Russland nicht von der Karte verschwinden wird. Er hat jedoch, so scheint's, da etwas krass missverstanden: Es geht nicht darum, Russland auszulöschen, sondern darum, das Kriegstreiben des Putin'schen Regimes zu beenden. Er vergisst/verschweigt Georgien, Belarus, Transnistrien (Moldawien), . . . Mit dem 8. Mai 1945 ist auch Deutschland nicht von der Karte verschwunden, sondern wurde dem Nazi-Regime der Garaus gemacht.
Klaus Brandhuber, 4600 Wels

Ein Abnutzungskrieg mit hohen Verlusten

Solang Putin nicht auf die rechtswidrig annektierten Gebiete in der Ostukraine verzichtet, wird es keinen Frieden geben. Der bewaffnete Konflikt zwischen Russland und Ukraine ist derzeit ein Abnutzungskrieg mit hohen Verlusten. Zusätzlich terrorisiert Russland die ukrainische Bevölkerung durch Zerstörung der zivilen Infrastruktur aus der Luft. Die ukrainischen Streitkräfte wollen deshalb die Flugabwehr mit westlichen Waffensystemen verstärken. Entscheidend auf dem Schlachtfeld wird sein, ob die ukrainischen Streitkräfte genügend Waffen von den Nato-Staaten bekommen und sie wirkungsvoll einsetzen können. Anderseits versucht die russische Armee durch Mobilmachung die Truppe an der Front zu verstärken, um im Frühjahr in die Offensive überzugehen oder zumindest die Stellungen zu halten. Der ehemalige deutsche Nato-General Domröse rechnet mit einer Pattsituation und folglich mit einer Waffenruhe noch 2023. Je mehr westliche Waffensysteme die Ukraine erhält, umso mehr wird sie von der westlichen Logistik abhängig. Das dürfte auch der Grund sein, warum Deutschland so zurückhaltend bei Waffenlieferungen agiert.
Oberst i. R. Kurt Gärtner, 4600 Wels

So macht man sich zum Instrument des Aggressors

Wer die westliche Politik in einer Situation wie dieser unter Hinweis auf die Opfer zu Friedensverhandlungen aufruft, hat es schwer. Zu Recht. Ein solcher Aufruf ignoriert nicht nur die Natur des konkreten Konflikts und den Wunsch der Ukraine, sich zu verteidigen und seine Souveränität wieder herzustellen; er verkennt auch die historischen Dimensionen des Konflikts und macht sich zum Instrument des Aggressors: Hier stehen nicht, wie in bei vielen Konflikten der Vergangenheit, konkurrierende Staatskonzepte im Konflikt, sondern die Ukraine verteidigt das Prinzip der Staatlichkeit an sich gegen eine Mafiaorganisation mit Nuklearwaffen. Nichts an Russland ist ein Staat - selbst sein Militär besteht aus Banden und Kriminellen. Natürlich ist die Angst vor einer nuklearen Eskalation berechtigt; aber wenn man *dieser* Aggression nachgibt, sind alle Soldaten, Widerstandskämpfer und Friedensbewegte, die ihr Leben und ihre Gesundheit für Frieden und Freiheit geopfert haben, umsonst gestorben.
up the ante, im Forum von diepresse.com

Eine weitere Folge von Putins Krieg

Der Krieg gegen die Ukraine hat noch eine weitere, gravierende Folge: In der ganzen Diskussion um den Ukraine-Krieg wird kaum je erwähnt, dass die Ukraine ihre Atomwaffen (an Russland, wo sie angeblich vernichtet wurden) abgegeben hat. Beim OSZE-Gipfel am 5. 12. 1994 in Budapest verzichtete die Ukraine auf die über 2000(!) dort stationierten Atomwaffen und trat dem Atomwaffensperrvertrag bei. Sie erhielt dafür von Russland, den USA und GB die Zusicherung, die Unabhängigkeit und die existierenden Grenzen der Ukraine zu respektieren. Ähnliches taten die ehemaligen Sowjetrepubliken Weißrussland und Kasachstan. Es hätte zu denken geben können, dass Russland der 20-Jahre-Gedenkfeier dieses Ereignisses im Dezember 2014 - also kurz vor der Invasion der Krim - in Paris fernblieb. Wenn die USA und Großbritannien die Ukraine unterstützen, tun sie eigentlich nur, wozu sie sich seinerzeit - wenn auch nur indirekt - verpflichtet haben.
Die entscheidende "Lehre" für alle faktischen und Möchtegernatomstaaten (wie Nordkorea und den Iran) wird leider sein, dass es besser ist, Atomwaffen zu haben. Damit wird Putins Krieg einerseits und die westliche Unterstützung der Ukraine andererseits zum  Exempel und zur Nagelprobe  dafür, welchen Wert oder Unwert internationale Garantien haben - für Sicherheit und Frieden auf der Welt insgesamt.
Dr. Siegfried Kreuzer, Perchtoldsdorf

(sk)

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