Nachgefragt

„Aufpassen, nicht nichts von allem zu wissen“

In den letzten Jahrzehnten entstanden viele Bahnbrechende Ergebnisse an den Schnittstellen der Disziplinen.
In den letzten Jahrzehnten entstanden viele Bahnbrechende Ergebnisse an den Schnittstellen der Disziplinen. Getty Images/iStockphoto
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Was ist „Interdisziplinarität“, und wo liegt ihre Grenze? Das beantworten Uni-Wien-Rektor Sebastian Schütze, Meinhard Lukas, Rektor der Johannes-Kepler-Uni Linz, und Hendrik Lehnert, Rektor der Paris-Lodron-Uni Salzburg.

„Interdisziplinarität“ ist ein großes Trendwort – warum ist das so, und welche Vorteile hat eine interdisziplinäre Herangehensweise in der Forschung und in der Lehre?

Meinrad Lukas (JKU): Vieles im Forschungs- und Bildungsbereich wird als interdisziplinär bezeichnet, das bestenfalls multidisziplinär ist – also dass Menschen aus unterschiedlichen Disziplinen zusammenkommen und miteinander arbeiten. Echte Interdisziplinarität bedeutet aber, dass das Wissen und die Methoden aus den verschiedenen Disziplinen integriert werden. Nur wenn sich die Experten und Expertinnen auf andere Disziplinen einlassen, hat Interdisziplinarität die Kraft, die wir brauchen, um komplexe Zukunftsthemen zu erforschen.

Sebastian Schütze (Uni Wien): Internationale Untersuchungen zeigen: Bahnbrechende Ergebnisse in den vergangenen Jahrzehnten entstehen an den Schnittstellen der Disziplinen. Da liegt es bei einer forschungsstarken Universität wie der Universität Wien nahe, alle großen Kompetenzen im Haus zusammenzubringen. Und es ist in unserem Interesse, diese Interdisziplinarität an unsere Studierenden weiterzugeben. Auch deren Lebens- und Arbeitswelt wird zunehmend komplexer und verlangt, mit Interdisziplinarität umgehen zu können.

Hendrik Lehnert (PLUS): Interdisziplinarität ist unverzichtbar, weil auch die Arbeitsgebiete und Berufsbilder nicht so eindimensional und klar definiert sind, wie vor 30 bis 40 Jahren. Zum anderen wird es immer wichtiger, sinnvoll im Team zusammenzuarbeiten. Das gelingt am besten, wenn man sich aufeinander einlässt und die unterschiedlichen Fähigkeiten bei den Kooperationspartnern respektiert.

Wo hat es durch interdisziplinäres Forschen große Fortschritte gegeben?

Lehnert: Die Ansätze der Spieltheorie sind beispielsweise hoch interdisziplinär, weil dort an der Schnittstelle von Ökonomie, Verhaltensforschung und Psychologie untersucht wird, wie man zu Entscheidungen kommt. Auch in der Medizin setzen sich klinisch tätige Ärzte mit Biologen und Bioinformatikern zusammen, um aktuelle Fragestellungen zu bearbeiten. Oder das Gebiet der Digital Humanities, in dem Geisteswissenschaften um einen Digitalisierungsansatz ergänzt werden, um beispielsweise Handschriften in digitale Daten zu überführen.

Lukas: Ein Musterbeispiel dafür, was Interdisziplinarität bewirken kann, ist Erwin Schrödinger. Als Physiker war er in seiner eigenen Disziplin exzellent, den Grundstein für seinen Durchbruch hat er aber in einer anderen Disziplin geschafft. Indem er Phänomene der Biologie mit den Augen eines Physikers betrachtete, war er es, der den Grundstein für die moderne Molekularbiologie legte.

Schütze: An der Medizinischen Universität wurde gerade das Eric-Kandel-Institut eröffnet, das sich mit personalisierter Medizin auseinandersetzt – ein stark interdisziplinärer Forschungszweig zwischen Medizin, Chemie und Mikrobiologie. Ein weiteres Beispiel sind die Max Perutz Labs, die gemeinsame Forschungseinheit, die wir als Uni Wien mit der Med-Uni Wien betreiben, um Kompetenzen über Universitätsgrenzen hinweg zu bündeln und institutionell zu verankern.

Zwischen welchen Disziplinen wird Interdisziplinarität bereits voll gelebt? Wo gibt es noch Aufholbedarf?

Schütze: Grundsätzlich haben wir das Prinzip der Interdisziplinarität in der Forschung und der Lehre gut umgesetzt. Schon deswegen, weil unsere großen Fördergeber Programme ausschreiben, die einen interdisziplinären Zugang voraussetzen.

Lehnert: Wir haben viele interdisziplinäre Studiengänge, darunter Recht und Wirtschaft, Sprache, Wirtschaft und Kultur oder Christliche Kultur, Transformation und Kommunikation. Wir sind auf einem guten Weg.

Lukas: Mit dem Linz Institute of Technology haben wir vor sieben Jahren Interdisziplinarität institutionell verankert und alle Dimensionen von Technologie – auch soziale, rechtliche und psychologische Fragen – zusammengebracht. Das Institut ist als Matrixorganisation aufgebaut – mit offenen Bürostrukturen soll Interdisziplinarität auch über die Architektur gefördert werden.

Welchen Anspruch verfolgen interdisziplinäre Studiengänge?

Schütze: Wir versuchen beim Einrichten neuer Studiengänge die Interessen der Studierenden mit der spezifischen Arbeitsmarktsituation in Einklang zu bringen. Gender Studies ist ein gutes Beispiel, schließlich sind Gender-Kompetenzen in verschiedenen Berufsfeldern immer stärker als Kernkompetenzen gefragt.

Lehnert: Bei der Entwicklung der Studiengänge muss man unterscheiden: Was ist berufsqualifizierend und was eher eine Ergänzung dazu? Viele Fächer, wie Gender Studies, Nachhaltigkeit und Digitalisierung bieten wir an der PLUS als Studienergänzungen an, weil diese Kompetenzen in jedem Studienfach wichtig sind. Unsere interdisziplinären Studiengänge sind auf den Arbeitsmarkt und entsprechende Berufsbilder ausgerichtet.

Lukas: Es ist nicht immer einfach, dem Anspruch interdisziplinärer Studiengänge gerecht zu werden. Ist es multi- oder wirklich interdisziplinär? Und wie viel Basiswissen in den Disziplinen muss ich vermitteln, um dann interdisziplinär arbeiten zu können?

Wo liegen die Grenzen der Interdisziplinarität?

Lukas: Dort, wo man der disziplinären Qualität nicht mehr gerecht wird und zugleich die Interdisziplinarität ins Leere geht. Man muss aufpassen, dass man nicht nichts von allem weiß. Aber die Qualitätssysteme in der Wissenschaft sind ausreichend geschärft, weshalb ich hier keine große Gefahr sehe. Trotzdem ist es immer wichtig, nach der Substanz zu fragen.

Schütze: Wer an interdisziplinären Projekten teilnimmt, sollte über Kernkompetenzen in seinem Feld verfügen, um die spezifische Perspektive in der Zusammenarbeit gut vertreten können. Nur dann kann etwas Neues entstehen – mit Halbwissen kann man wenig anfangen. Es braucht den Mittelweg zwischen kompetenzorientierter Fachausbildung, wie dem Bachelor, um in einem multiperspektivischen Masterstudium mit anderen Disziplinen in Dialog treten zu können.

Lehnert: Interdisziplinarität muss man nicht dort erzwingen, wo sie nicht sinnvoll ist. Entscheidend ist die Suche nach den richtigen Partnern. Es gibt Disziplinen, die weiter voneinander entfernt liegen, mit weniger Berührungspunkten – aber die Suche nach gemeinsamen Fragestellungen ist immer ein Vergnügen.

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