Gastkommentar

Wiens Rolle im Ukraine-Krieg: Wertvoll ist der Neutrale, wenn er Dialog ermöglicht

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Warum es für ein Nein zu Waffenlieferungen und das Ja zu russischen Diplomatenvisa zwei Lesarten gibt und das Dazwischen für Bauchweh sorgt.

Der Autor

Thomas Roithner ist Friedensforscher, Privatdozent für Politikwissenschaft an der Universität Wien und Mitarbeiter im Internationalen Versöhnungsbund.

Es klang schon fast ein wenig nach Entschuldigung, dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen anlässlich seines Besuches in der Ukraine gar nicht gewusst hätte, was angesichts der Waffenbestände des heimischen Heeres geliefert werden könne. Auch wenn er Kampfpanzer weder aus dem Hut zaubern kann noch darf, so hat er Neutralitätskompatibles – Generatoren und Baumaterial – im Gepäck. Und er sehe gerade keine Friedenstaube fliegen.

Österreich ist militärisch neutral, politisch klar auf der Seite der Ukraine und des Völkerrechts. Immerwährend neutral meint die Verpflichtung, sich an keinem Krieg zu beteiligen. Unabhängig vom Wer, Wo und Wann. Der Völkerrechtler Manfred Rotter traf die politische DNA in Österreich, wenn er die Neutralität überspitzt als „Status der generellen Kriegsverweigerung“ zusammenfasst. Also prinzipiell keine Waffen und keine Soldaten in Kriege anderer Staaten und kein Militärbündnis. Kaum etwas anderes genießt über Jahrzehnte so hohe Umfragewerte. Der Diplomat und Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, erklärte jüngst durchaus harsch, dass er das Beharren auf der Neutralität nicht verstehe.

Visa für Russland

Seit den 1950ern ist eine aktive Amtssitzpolitik Österreichs innenpolitisch quasi Konsens. Wien beherbergt einen Sitz der Vereinten Nationen, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und gut 40 weiterer internationaler Organisationen. Österreich als Verhandlungsort wird innenpolitisch beinahe überschwänglich kultiviert.
Genau ein Jahr nach Beginn der laufenden Kriegsphase findet am 24. 2. 2023 die Parlamentarische Versammlung der OSZE in Wien statt. Zuständigkeit und Idee der damals 1975 in Helsinki noch als Konferenz zusammentretenden Staaten: gesamteuropäische Sicherheit.

Gesamteuropäisch heißt, dass alle am Tisch sitzen. Außenminister Alexander Schallenberg spürt viel Gegenwind, wenn er die Visaerteilung an teils hochumstrittene russische Diplomaten verteidigt. Schallenberg argumentiert rechtlich mit seiner Verpflichtung als Amtssitz der OSZE und politisch, dass Russland seine Isolierung vor Augen geführt werden soll. Folgerichtig, denn Schallenberg hat die Ausladung Russlands anlässlich der OSZE-Tagung in Polen auch kritisch gesehen. Das Argument: Gerade in besonders schwierigen Zeiten braucht es inkludierend wirkende Foren. Keine Illusion, aber die kleine Lücke zum Dialog nützen.

Jetzt erlaubt die Position Österreichs mit einem Nein zu direkten Waffenexporten ins Kriegsgebiet und dem Ja zu russischen Diplomatenvisa theoretisch zwei Lesarten. Die eine setzt trotz der Lage auf Dialog, kooperative Organisationen und Sicherheit mit einem Nachbarn, dessen geografische Lage nicht zu ändern ist. Die andere sieht unsolidarisches Wegducken, das insgeheime Schielen auf wirtschaftliche Vorteile und die augenzwinkernde Sympathie mit Autoritärem. Das Dazwischen wird auch weniger heiß gegessen als gekocht, verursacht aber nicht weniger Bauchweh: Das neutrale EU-Mitglied hat sich im Zuge der Waffenlieferungen über die EU-„Peace Facility“ konstruktiv der Stimme enthalten, und die Verteidigungsministerin macht politisch gutes Wetter für Österreich im European Sky Shield. Der Schauspieler Helmut Qualtinger sagt's allgemein: „Österreich ist ein Labyrinth, in dem sich jeder auskennt.“

„In Vielfalt geeint“, propagiert die EU. Gleichzeitig verengt sich die EU-Debatte immer mehr auf Waffenlieferungen, neue Sanktionen und eigene Aufrüstung. Wertvoll ist der Neutrale dann, wenn er Dialog ermöglicht. Selbst in den konfrontativsten Zeiten des Kalten Krieges war Wien als Verhandlungsplatz akzeptiert. Bei nuklearer Rüstungskontrolle und Abrüstung ist Österreich Gast- und Impulsgeber. Neben humanitären Aspekten hat Österreichs Regierung auch die Einführung eines Zivilen Friedensdienstes – ein Gemeinschaftswerk von Staat und Zivilgesellschaft – auf der Agenda. Glaubwürdig ist der Neutrale, wenn er bei Solidarleistungen an UNO und OSZE deutlich über die unterste Richtschnur springt. Doch leider regiert in der Außenpolitik auch der Sparefroh, und Österreich hat nicht zuletzt deshalb seit dem EU-Beitritt nur vereinzelt politischen Geländegewinn erzielt.

Der Friedensplan von Emmanuel Macron und jener Italiens sieht auch ein Nachdenken über eine künftige europäische Sicherheitsarchitektur vor. Krisenprävention, Vertrauensbildung, Rüstungskontrolle oder das Klimaziel Frieden sind nur wenige Stichworte. Gustav Mahler erklärte: „Wenn die Welt einmal untergehen sollte, ziehe ich nach Wien, denn dort passiert alles 50 Jahre später.“ Gut, dann eben Wien. Aber nicht wegen des Weltuntergangs, sondern um die Friedenstaube aus dem Labyrinth zu locken.Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

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