Junge Forschung

Der Goldschatz im Mutterkuchen

Die Portugiesin Andreia Verissimo Luis verfolgt am Vienna Biocenter viele Ideen, um tierisches Biomaterial in der Forschung zu ersetzen.
Die Portugiesin Andreia Verissimo Luis verfolgt am Vienna Biocenter viele Ideen, um tierisches Biomaterial in der Forschung zu ersetzen.Die Presse/Clemens Fabry
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Die Biomedizinerin Andreia Verissimo Luis holt Proteine und anderes Material aus der menschlichen Plazenta. Der „medizinische Abfall“ kann helfen, Tierversuche zu reduzieren.

Nach sieben Jahren, in denen ich fast nur Englisch spreche, fallen mir einige Wörter gar nicht mehr auf Portugiesisch ein, wenn ich mit meiner Familie telefoniere“, sagt Andreia Verissimo Luis, die aus einem kleinen Ort im Landesinneren von Portugal stammt. In Österreich hat sie schon Deutschkurse absolviert, aber für das Interview wechselt sie lieber in die wissenschaftliche Lingua franca und plaudert auf Englisch los. Das Thema liegt ihr ehrlich am Herzen, und so sprudelt es aus der jungen Portugiesin heraus, was man alles anders machen könnte in der biomedizinischen Forschung.

„Es tut sich so viel in der Zellforschung. Durch In-vitro-Experimente wird oft klar, wie neue Wirkstoffe weniger Nebenwirkungen und eine bessere Effizienz bekommen. Doch in der ganzen Forschung im Labor wird viel Material eingesetzt, das eigentlich von Tieren stammt“, sagt Verissimo Luis. Sie will Proteine und andere Biomaterialien aus menschlicher Herkunft – anstatt von Rindern, Schweinen, Mäusen und Laborratten.
„Manche der von Tieren stammenden Substanzen sind extrem teuer. Etwa auch das blaue Blut vom Pfeilschwanzkrebs aus dem Atlantik. Dieses wird in Pharmafirmen eingesetzt, um Bakterien-Verunreinigungen sichtbar zu machen. Es rettet also Menschenleben, kostet aber pro Liter einige Tausend Euro. Das wäre es wert zu ersetzen“, sagt Verissimo Luis.

Überall werden täglich Babys geboren

Sie konzentriert sich nun auf Biomaterialien, die aus der menschlichen Plazenta gewonnen werden. „Auf der ganzen Welt werden täglich Babys geboren. Die Plazenta wird fast immer entsorgt. Dabei wären ihre Inhaltsstoffe so wertvoll für die Forschung“, so Verissimo Luis. Sie betont, dass sie weder Zellen noch DNA des Mutterkuchens nutzt, sondern die „extrazelluläre Matrix“. Also das Gemisch, das zwischen den Zellen steckt und diese ernährt. „Genau darum geht es: dass man mit dem Material auch Zellen ernähren und stützen kann, die in Laborschälchen, also in vitro, wachsen. Bisher nutzen die meisten Zellkulturen Material, das von Tieren stammt.“ Die Bereitschaft von Müttern, das Plazenta-Material für die Forschung zu spenden, ist hoch. Daher gründete Johannes Hackethal vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Traumatologie 2020 in Wien das Spin-off THT Biomaterials GmbH mit Unterstützung der Forschungsförderungsgesellschaft FFG: Es soll die Verwendung der extrazellulären Matrix aus der Plazenta vorantreiben. Immerhin führt tierische Matrix in Laborschälchen mit menschlichen Zellen zu verzerrten Ergebnissen, und das in so wichtigen Bereichen wie Medikamententwicklung, Krebsdiagnose oder Wundheilung.

Andreia Verissimo Luis wechselte nach der Dissertation an der Med-Uni Wien und dem LBI Trauma, wo sie im Bereich Multiorganversagen arbeitete, in das Start-up am Vienna Biocenter und ist sehr zufrieden, „dass ich bei THT Biomaterials die Grundlagenforschung mit der schnellen Anwendung der Ergebnisse verbinden kann“. Ein Ansatz des Unternehmens ist, Kollagen aus der Plazenta zu gewinnen, um das große Molekül für 3-D-Drucker, Biotinte und die Organoid-Forschung fit zu machen. Für die Kollagen-Produktion benötigt man große Mengen des Verdauungsenzyms Pepsin. Es wird bisher aus der Magenschleimhaut von Schweinen gewonnen, und Verissimo Luis will menschliches Pepsin synthetisch herstellen. Mit dieser Arbeit war Verissimo Luis Ende 2022 für den Lush Prize des britischen Kosmetik-Unternehmens nominiert. Mit 250.000 Pfund Preisgeld ist die Auszeichnung bei Forschenden, die sich für das Ende von Tierversuchen einsetzen, begehrt.

Der Sieg ging letztlich an andere Projekte, aber die Nominierung aus Österreich sorgte für Aufmerksamkeit. „Das gehört zu meiner Arbeit: mehr Unterstützung zu bekommen, um Tierversuche und tierisches Material in der Forschung zu ersetzen“, sagt Verissimo Luis, die selbst nicht strikt vegetarisch lebt, aber darauf achtet, woher das Fleisch kommt. Als Ausgleich zur intensiven Arbeit reist Verissimo Luis gern in Länder, in denen sie tauchen gehen kann, wie Ägypten, Kolumbien oder Zypern.

Zur Person

Andreia Verissimo Luis (32) studierte Biomedizin und Klinische Biochemie an der Universität Aveiro an der Küste Portugals. Für ihre Dissertation kam sie 2016 an das Ludwig-Boltzmann-Institut für Traumatologie in Wien Brigittenau, gefördert von einem Marie-Skłodowska-Curie-Stipendium der EU. Seit 2022 forscht sie im Vienna Biocenter bei THT Biomaterials, einem Spin-off des LBI Trauma.

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