Früher habe sie sich gern Dokumentationen über Kriege angeschaut, erzählt die aus Mariupol geflohene Tatjana, und habe sich gewundert, was ein Mensch alles aushalten kann. „Jetzt, nachdem ich das selbst erlebt habe, kommt es mir vor, als sei das gar nicht ich gewesen.“
Anfangs habe ich mich noch gefragt, warum uns das alles passiert, doch mit der Zeit war es mir egal“, erzählt die 17-jährige Olga. „Jedes Mal, bevor ich einschlief, wusste ich nicht, ob ich wieder aufwachen werde. Wenn du beschossen wirst, denkst du bei jeder Explosion, dass es das nächste Mal dein Haus trifft. In diesem Augenblick ist es dir egal, wer recht oder unrecht hat. Du willst nur leben. Ich wollte leben.“
Olga stammt aus Mariupol. Vom 24. Februar bis 28. März haben sie, ihre Eltern und ihre Großmutter die Belagerung erlebt. Heute ist die Familie in Deutschland im Exil. Olgas Mutter Tatjana berichtet chronologisch über das Erlebte, manchmal steht ihr das Entsetzen ins Gesicht geschrieben, ihre Sprache und ihr Tonfall geben dagegen Emotionen seltener preis. Anatolij, Olgas Vater, fügt manchmal etwas ergänzend hinzu, ringt nach Worten. Olga redet schnell, präzise, manchmal mit einem Hauch von Ironie in der Stimme. Es scheint, als liefen ihre Gedanken den von ihr formulierten Sätzen davon.