Erdgas

Wladimir Putins schärfste Waffe gegen Europa

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Ein Jahr nach Kriegsbeginn leidet die EU weiter stark unter den Folgen der Energiekrise. Nur wenige Länder konnten sich vom Rohstofflieferanten aus Moskau abnabeln. Österreich plagt sich, spart Energie, ist aber heute fast so süchtig nach russischem Gas wie am ersten Tag.

Wien. „Europa schwimmt in billigem Erdgas“, titelte „Die Presse“ vor gar nicht allzu langer Zeit, im Mai 2019. Kostengünstiges Gas aus Russland strömte in Massen in die EU, eine schwache Konjunktur in Asien drückte zudem die Preise für Flüssiggas (LNG) – und die Europäer wussten gar nicht mehr wohin mit all dem Brennstoff.

Drei Jahre später war der Kontinent zu diesem Zeitpunkt schon in Alarmstimmung. Nach Wladimir Putins Einmarsch in die Ukraine war schlagartig klar, dass sich die EU auf ihren Rohstofflieferanten Nummer eins nicht mehr verlassen konnte. 40 Prozent des Gasbedarfs der EU deckte Russland bis dahin ab. Österreich war sogar zu über 80 Prozent vom Kriegstreiber in Moskau abhängig.

Und der Kreml zögerte nicht, seine Marktmacht auch als Waffe gegen den Westen einzusetzen. Das Schreckensszenario, dass Putin den Gashahn komplett zudrehen und den Kontinent in den Energienotstand schicken könnte, blieb zwar aus. Aber die Russen lieferten nur noch erratisch, schürten immer neue Unsicherheit an den Märkten und trieben so die Preise in bisher ungeahnte Höhen. 791 Milliarden Euro mussten die Regierungen Europas bis dato ausgeben, um die finanziellen Schwierigkeiten von Unternehmen und Haushalten in der Energiekrise zu lindern. Dafür sollte aber Schluss sein mit der Abhängigkeit von Russland, um nicht noch einmal in so eine missliche Lage zu kommen. Wie weit ist das geglückt?

Gaspreis sinkt unter 50 Euro

Eines muss man der EU lassen: Sie hat rasch und entschlossen reagiert, beschloss den Boykott von russischen Kohleimporten und den meisten Ölprodukten sowie einen Gaspreisdeckel. Unternehmen und Haushalte sparten kräftig Energie ein (siehe Grafik) oder stellten auf andere Heizformen um. Der Ausbau der Erneuerbaren erfuhr einen Schub nach vorn. Erstmals lieferten Sonne und Wind in Europa mehr Strom als Erdgas. Die Regierungen entschieden pragmatisch statt ideologisch: Deutschland ließ seine Atomkraftwerke länger am Netz, Staaten forcierten die Ausbeutung eigener Gasquellen, kauften so gut wie jede Flüssiggas-Ladung aus Amerika, Katar und Nigeria, die sie kriegen konnten, und legten strategische Reserven an.

Das half, in Kombination mit dem milden Wetter, Europa sicher durch den heurigen Winter und brachte Entspannung an den Börsen. Am Freitag fiel der Preis für einen Terminkontrakt am niederländischen Handelsplatz TTF erstmals seit eineinhalb Jahren von Höchstständen rund um 300 Euro wieder unter 50 Euro je Megawattstunde. Gas ist also wieder so billig wie vor dem Krieg.

Doch die Unabhängigkeit von Russland ist ein weitaus schwierigeres Kapitel. Ein Viertel aller Gaslieferungen in die EU kommt weiter von Gazprom. Österreich war im Dezember zu 71 Prozent von russischem Gas abhängig, im Jahresschnitt zu 60 Prozent. Warum es der Republik schwerer fällt als anderen EU-Staaten, Moskau den Rücken zu kehren, lässt sich exemplarisch an der OMV zeigen.

Der teilstaatliche Energiekonzern hat historisch enge Bande mit Gazprom und zudem einen bindenden Take-or-Pay-Liefervertrag bis 2040. Take-or-Pay bedeutet, dass die OMV auch dann für russisches Gas zahlen muss, wenn es die Lieferungen ablehnt. Nun gab es im Vorjahr immer wieder Momente, als Gazprom die Lieferungen gedrosselt hat, die manche Beobachter als möglichen Hebel für eine Auflösung der Verträge angesehen haben. Dennoch fährt der Konzern zumindest öffentlich keinen scharfen Kurs gegen Gazprom, sondern nimmt – und zahlt –, was immer geliefert wird. Das jedoch vor allem aus volkswirtschaftlichen Gründen, sagen Involvierte.

OMV behält Russen-Verträge

Denn die OMV könnte zwar die Versorgung ihrer eigenen Kunden im Land (entspricht etwa dem halben Gesamtbedarf der Republik) mit Flüssiggas oder Gas aus Norwegen sicherstellen, nicht aber jene für den Rest des Landes. Österreichs Industrie und Stromproduktion sind jedoch gerade im Winter weiterhin noch stark abhängig von Erdgas, die erzielten Einsparungen lagen unter dem EU-Schnitt. Um ganz auf Russland verzichten zu können, fehlt es an Lieferanten und Leitungen.

Dasselbe gilt, wenn auch abgeschwächt, für die ganze EU, warnt der Thinktank Bruegel. Steigen die russischen Gaslieferungen nicht an, müssten die Europäer den Verbrauch um 13 Prozent gegenüber dem langjährigen Schnitt senken, um durch den Winter zu kommen. Bleiben die Lieferungen ganz aus, müssten sie mit einem Fünftel weniger auskommen. Bis die EU wieder in billigem Gas „schwimmt“, dürfte es eine Weile dauern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2023)

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