Wort der Woche

Gletscherseen

Wo heute noch Gletscher sind, wird es in Zukunft ausgedehnte Gletscherseen geben. Dies könnte eine tödliche Gefahr für viele Millionen Menschen bedeuten.

Noch verhüllt der Schnee das dramatische Geschehen in den Bergen: Die Gletscher schrumpfen rasant, jährlich schmelzen laut Schätzungen weltweit mehr als 330 Mrd. Tonnen Gletschereis ab. Eine der Konsequenzen ist, dass sich im Hochgebirge viele neue Seen bilden. Weltweit hat sich die Zahl der Gletscherseen seit 1990 verdoppelt, sagen Statistiken. Das Wasservolumen der Gletscherseen in Asien könnte sich laut Forschenden der Uni Innsbruck und der Humboldt-Universität Berlin bis 2100 glatt verzehnfachen. Von den derzeit rund 1400 Hochgebirgsseen in Österreich sind 150 erst nach dem Ende der Kleinen Eiszeit Mitte des 19. Jh.s entstanden; für die Zukunft erwarten Forschende der Uni Salzburg hierzulande 40 bis 70 neue Gletscherseen.
Das hat Folgen. Positiv ist etwa, dass sich neue Lebensräume und reizvolle Landschaftselemente bilden, mittelfristig wächst das Wasserkraftpotenzial. Gletscherseen können aber auch gefährlich werden. Im Fall eines Gletscherseeausbruchs – infolge des Nachgebens der Geröllwälle und Erddämme, die das Schmelzwasser aufstauen, oder durch Flutwellen nach Felsstürzen oder Lawinenabgängen – ergießt sich ein gewaltiger Strom aus Wasser, Schlamm und Geröll ins Tal, der eine Spur der Verwüstung hinterlässt. Das passiert immer wieder. So etwa 1941 in Huaraz (Peru), wo es mehrere Tausend Todesopfer gab. In Österreich sind z. B. im Ötztal katastrophale Überschwemmungen im 16. und 17. Jahrhundert mit Hunderten Toten dokumentiert.

Eine Forschergruppe um Caroline Taylor (Newcastle University) hat nun versucht abzuschätzen, wie viele Menschen weltweit von solchen Naturkatastrophen bedroht sind. Den Modellierungen zufolge leben rund 90 Millionen Menschen in 60 Ländern im Einzugsbereich von Gletscherseen. Akut gefährdet sind 15 Millionen Menschen, die in einem Umkreis von 50 Kilometern und maximal einen Kilometer von einer potenziellen Ablaufrinne entfernt wohnen – die Hälfte davon in den vier Ländern Indien, Pakistan, Peru und China (Nature Communications 7. 2.). Neben den hauptbetroffenen Gebieten in Zentralasien und Südamerika ist die Gefahr aber auch in Nordamerika und Europa beträchtlich, so die Forschenden. In Österreich leben der Studie zufolge rund 250.000 Menschen im Gefahrenbereich. Um ein Mehrfaches brisanter ist die Situation in der Schweiz und in Italien.
Umso wichtiger ist es, die Klimaerwärmung möglichst rasch einzubremsen.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

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