Erinnerungskultur

Wie "erinnert" sich die Gen Z an den Nationalsozialismus?

Zwei junge Mädchen vor den Anlagen des Vernichtungslagers Auschwitz.
Zwei junge Mädchen vor den Anlagen des Vernichtungslagers Auschwitz. (c) IMAGO/NurPhoto
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Junge Menschen interessieren sich zwar sehr für die Zeit des Nationalsozialismus, tatsächliches Wissen über den Holocaust haben sie wenig. Das zeigt eine aktuelle Studie aus Deutschland.

Junge Menschen der Gen Z, also der Jahrgänge 1998 bis 2007, interessieren sich sehr für die Zeit des Nationalsozialismus. Das zeigt die Memo-Jugendstudie 2023, die die deutsche Universität Bielefeld aus Deutschland durchführte. Dabei wurde nicht nur erfragt, wie sich junge Menschen an den Nationalsozialismus erinnern, sondern auch wie sie Diskriminierung und Erinnerungskultur heute wahrnehmen.

Während fast zwei Drittel der jungen Erwachsenen (63 Prozent) angaben, sich intensiv mit der NS-Zeit auseinanderzusetzen, taten dies nur knapp die Hälfte der allgemeinen deutschen Bevölkerung (63 Prozent). Als sinnvoll erachteten junge Menschen diese Auseinandersetzung allenfalls: Ganze drei Viertel der 16- bis 25-Jährigen stellten die Beschäftigung mit dem Thema nicht infrage.

Großes Interesse, wenig Wissen

Dem eindeutigen Interesse steht allerdings mangelndes Faktenwissen gegenüber: Etwa die Hälfte der befragten jungen Erwachsenen konnte den genauen Zeitraum der NS-Herrschaft nicht benennen. Jeder und jede fünfte Befragte konnte nur eine oder sogar gar keine Opfergruppe des Nationalsozialismus benennen. Eine österreichische Studie aus dem Jahr 2021, durchgeführt an Wiener Schulen, zeigt, dass mangelndes Faktenwissen nicht nur in Deutschland, sondern auch hierzulande ein Thema ist. So konnte nur ein Fünftel der damals befragten Wiener AHS-Schülerinnen und Schüler den Begriff Holocaust definieren, und nur knapp über die Hälfte der befragten Schülerinnen und Schüler (AHS und BHS) gaben an, dass auch Österreich Schuld an den Verbrechen des Nationalsozialismus trage.

Darauf zielt wohl auch der ausdrückliche Wunsch der Memo-Studie nach konkretem Faktenwissen und ausführlichem Bildungsangebot ab: Neben Bedarf an faktischer Information, den drei Viertel der Jugendlichen äußerten, wurden auch das Bedürfnis historische Orte zu besuchen und Bezüge zur politischen Gegenwart herzustellen genannt. Ganz besonderes inhaltliches Interesse gibt es in Bezug auf das Verhalten vermeintlich unbeteiligter Zivilbevölkerung, ganze 35 Prozent der Jugendlichen wünschten sich dazu ausführlichere Informationen.

Entsprechende Bildungsarbeit, die diese Bedürfnisse abdeckt, ist also gefragt, schlussfolgert dazu Jonas Rees, Professor für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld: „Als Gesellschaft wären wir gut beraten, die Gruppe der jungen Erwachsenen als zukünftige Träger und Trägerinnen von Erinnerungskultur ernst zu nehmen.“ 

Schulbesuch in Mauthausen?

Der Wirkung der in Österreich übliche Exkursion in ein Konzentrationslager, wie etwa jenes in Mauthausen, scheint die Studie recht zu geben. Ganze 51 Prozent der befragten Jugendlichen befürworten es, Orte zu besuchen, an denen nationalsozialistische Verbrechen stattgefunden haben. Auch Gudrun Blohberger, pädagogische Leiterin der KZ-Gedenkstätte in Mauthausen, stellt in ihrer täglichen Arbeit ein großes Interesse vonseiten junger Menschen fest, sich mit Mauthausen, dem Ort und seiner Geschichte auseinanderzusetzen: „Ein Desinteresse junger Menschen, wie immer wieder behauptet wird, können wir nicht feststellen.“

Sie warnt allerdings davor, zu genaues Wissen einzufordern: „Tatsächliche Jahreszahlen zu nennen, das ist nie beliebt. Da würde man auch bei Erwachsenen zu ähnlichen Ergebnissen kommen.“ Ihrer Ansicht nach, sei es wichtiger, ein Gespür dafür zu vermitteln, wie nah oder fern diese Zeit zur Gegenwart sei. Auch das unterschiedliche Wissen über verschiedene Opfergruppen bestätigt Blohberger: „Für manche Opfergruppen des Holocausts gibt es ein hohes Bewusstsein, andere sind im öffentlichen Bewusstsein unterrepräsentiert.“ 

Bianca Kämpf vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) nimmt ebenfalls ein breites Interesse an Vermittlungsarbeit wahr, und zwar von Menschen aller Altersgruppen. Gerade bei Schülerinnen und Schülern sieht sie dieses Interesse oft „in Zusammenhang mit Interesse, Motivation und Bereitschaft der jeweiligen Lehrperson.“ 

Eigene Diskriminierungserfahrungen

Wie wichtig die Erinnerungsarbeit für das politische Bewusstsein kommender Generationen ist, zeigt sich ebenfalls in der Memo-Studie. 60 Prozent der Jugendlichen gaben an, durch die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus sensibler für Themen wie Ausgrenzung und Diskriminierung geworden zu sein. Auch während Führungen in der Gedenkstätte Mauthausen ist Diskriminierung in der heutigen Gesellschaft oft Thema, wie Blohberger berichtet: „Insbesondere junge Menschen mit Migrations- oder Fluchthintergrund berichten hier von eigenen Erfahrungen.“ In der Vermittlung sei der systemgeschichtliche Kontext besonders relevant: „Wie kommt es dazu, dass so eine Ausgrenzung gesellschaftlich toleriert und unterstützt wird?“ 

Bei der Vermittlungsarbeit im DÖW wird auf die Sensibilisierung für Diskriminierung und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit besonders Wert gelegt: „Gerade beim Thema Rechtsextremismus und Neonazismus in Österreich ist es dabei unumgänglich, nicht auch auf die spezifische Geschichte hinzuweisen. Eine Gegenwart kann nicht ohne ihre jeweilige Geschichte verstanden werden.“ 

Ein Ansatz, der wohl funktioniert: Jene jungen Erwachsenen, die im Zuge der Memo-Studie angaben, sich intensiv mit der Geschichte des Nationalsozialismus beschäftigt zu haben, berichteten außerdem von einem höheren eigenen Engagement, wenn es um politische und gesellschaftliche Themen geht. Weit vor dem Engagement gegen Rassismus und Diskriminierung (dafür machen sich 22 Prozent der Befragten stark) lag hier allerdings ein weiteres gesellschaftliches Anliegen: 43 Prozent der Jugendlichen setzen sich ganz besonders für Klima- und Umweltschutz ein.

Zur Studie

Die Memo-Jugendstudie wird vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld durchgeführt und von der Stiftung EVZ gefördert. In einer repräsentativen Befragung junger Menschen zwischen 16 und 25 Jahren wurde ermittelt, wie sich junge Menschen an den Nationalsozialismus erinnern.

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