Analyse

Warum wir eine „echte“ Sammelklage brauchen

Der VKI warf VW vor, die Klärung von Haftungsfragen im Abgasskandal zu verzögern, der Autobauer dementiert das.
Der VKI warf VW vor, die Klärung von Haftungsfragen im Abgasskandal zu verzögern, der Autobauer dementiert das. (c) REUTERS (Suzanne Plunkett)
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Ein echtes Sammelverfahren könnte richtungweisende Klarstellungen durch den OGH erleichtern.

Wien. In Sachen Dieselskandal könnten – wie schon berichtet – in absehbarer Zeit auch Fahrzeugzulassungen infrage stehen. Das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht hat einen Freigabebescheid für das umstrittene Software-Update bei einem VW-Golf-Modell aufgehoben. Die Entscheidung wird aller Voraussicht nach angefochten werden, sollte sie aber im Instanzenzug halten, müssten betroffene Fahrzeuge wohl neuerlich – europaweit – in die Werkstätten gerufen werden.

Möglicherweise braucht es dann eine Nachrüstung mit Hardware. Und sollte es nicht gelingen, die Autos mit den Vorgaben entsprechender Abgasreinigungstechnik auszustatten, stünde ein Entzug der EU-Betriebszulassung im Raum. Das wäre der Worst Case, nicht nur für VW, sondern auch für die Halterinnen und Halter der Fahrzeuge.

Dass sich solche Autos auch recht zahlreich in Fuhrparks von Unternehmen und Behörden finden, macht die Sache nur noch brisanter. Einmal ganz abgesehen von den Folgewirkungen für andere Modelle mit dem gleichen Dieselmotor, aber auch für Fahrzeuge anderer Marken, deren Abgasreinigung ebenfalls durch sogenannte „Thermofenster“ an die Temperatur angepasst wird.

„Rechts ranfahren“

Sollte die Entscheidung also rechtskräftig werden, „heißt es für die betroffenen Fahrzeuge: Rechts ranfahren“, sagt Rechtsanwalt Eric Breiteneder, der Geschädigte im Dieselskandal vertritt, zur „Presse“. Selbst wenn es dann „nur“ um eine Hardware-Nachrüstung ginge, müssten sich die Nutzer darauf einstellen, ihre Fahrzeuge längere Zeit nicht zur Verfügung zu haben. Denn wie sollte das bei möglicherweise Millionen betroffener Fahrzeuge europaweit in kurzer Zeit bewältigt werden, noch dazu in Zeiten von Lieferengpässen? Und was, wenn dann der Aufwand für die Nachrüstung womöglich in keiner Relation mehr zum Restwert der Fahrzeuge steht?

All das sind freilich vorerst hypothetische Fragen. Niemand weiß, wie der Rechtsstreit um den Freigabebescheid enden wird. Zumal ja das Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg in einer ersten Reaktion seinen Rechtsstandpunkt bekräftigt hat, der Freigabebescheid sei korrekt gewesen. Aber falls es doch so kommen sollte, entstünde den Fahrzeughaltern damit ein weiterer Schaden, über dessen Abgeltung dann wohl ebenfalls vor Gericht gestritten würde.

Und das führt zur zivilrechtlichen Seite des Abgasskandals: Nach wie vor sind viele Verfahren anhängig, und selbst ohne solche neuen Facetten könnten es (bei Anerkennung der langen, dreißigjährigen Verjährungsfrist) noch mehr werden. Was aber nach wie vor fehlt, ist höchstgerichtliche Judikatur zu vielen der längst bekannten Streitthemen.

Der VW-Dieselskandal harre hierzulande weiter seiner rechtlichen Aufarbeitung, kritisierte erst kürzlich der Verein für Konsumenteninformation (VKI) und warf dem Autobauer vor, die Aufklärung zu „torpedieren“ und damit eine Klärung in Sammelverfahren zu erschweren. Grund für den Ärger war, dass VW zwar einerseits vor den heimischen Gerichten nach wie vor eine Haftung bestreitet und daher auch zu keinem Pauschalvergleich mit österreichischen Fahrzeughaltern bereit ist, andererseits aber immer wieder in Einzelfällen doch Vergleiche schließt. Auf dieses Weise wurde zuletzt auch eine lang erwartete Entscheidung des Obersten Gerichtshofs obsolet.

Klarstellungen nötig

VW argumentierte mit prozessualen Gründen: Fehler bei Tatsachenfeststellungen in der ersten Instanz, die vor dem OGH nicht mehr korrigiert werden können, hätten diese Vorgehensweise nötig gemacht. Für die vielen anderen Verfahren fehlen aber weiterhin richtungweisende Klarstellungen des Höchstgerichts.

Das macht einmal mehr deutlich: Wir brauchen eben doch eine „echte“ Sammelklage – wie sie laut EU-Vorgaben seit 25. Dezember des Vorjahres umgesetzt sein sollte. „In den USA ist der Dieselskandal seit 2016 abgeschlossen“, sagt Breiteneder. Könnten befugte Organisationen Rechtsfragen vom Gericht klären lassen – mit niederschwelliger Opt-in-Möglichkeit und Verbindlichkeit für alle, die davon Gebrauch machen – wären zumindest die bisherigen Streitthemen rund um den Dieselskandal wohl auch in Österreich längst geklärt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2023)

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