Strafrecht

Zadić vs. Edtstadler: Wem eine raschere Verjährung nutzt

Ein Bild aus dem Buwog-Prozess im Jahr 2019: der Angeklagte Peter Hochegger, Anwalt Manfred Ainedter, Angeklagter Walter Meischberger, Anwalt Norbert Wess und der Angeklagte Karl-Heinz Grasser (v. l. n. r.).
Ein Bild aus dem Buwog-Prozess im Jahr 2019: der Angeklagte Peter Hochegger, Anwalt Manfred Ainedter, Angeklagter Walter Meischberger, Anwalt Norbert Wess und der Angeklagte Karl-Heinz Grasser (v. l. n. r.).APA/ROLAND SCHLAGER
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Zwei Buwog-Verurteilte fechten das Gesetz an. Die Regierung ist sich nicht einig, ob sie die geltenden Regeln verteidigen will. Hat das Einfluss auf die VfGH-Entscheidung?

Damit eine Tat gesühnt werden kann, muss der Staat den Täter zeitgerecht verfolgen. Sonst sorgt die Verjährung dafür, dass es keine Strafe mehr geben darf. Nicht einberechnet wird in die Frist aber jene Zeit, in der bereits bestimmte Ermittlungsschritte gegen einen Täter laufen. Die letztere Regel zweifeln nun mindestens zwei der im Buwog-Prozess erstinstanzlich verurteilte Personen vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) an. Sie wollen, dass die Ermittlungsdauer in die Verjährungsfrist eingerechnet wird.

Wer die zwei Personen sind, die sich an den VfGH wandten, blieb zunächst unklar. Die Sache ist aber politisch pikant. Nicht nur, weil der von 2000 bis 2007 als Finanzminister amtierende Karl-Heinz Grasser – erst auf FPÖ-, dann auf ÖVP-Ticket – unter den erstinstanzlich Verurteilten ist. Sondern auch, weil die türkis-grüne Regierung das geltende Gesetz voraussichtlich nicht vor dem VfGH verteidigen wird. Denn innerhalb der Koalition gibt es Uneinigkeit zur Frage, ob man die bestehende Regel retten will. Aber inwieweit wird das den VfGH beeinflussen, und welche Folgen könnte die VfGH-Entscheidung für Straftäter haben?

1 Wie außergewöhnlich ist es, dass die Regierung ein Gesetz nicht vorm VfGH verteidigt?

Das ist unüblich, aber es kam vor allem bei ideologisch strittigen Themen schon vor. So äußerte sich die rot-schwarze Koalition im Jahr 2017 nicht zur Homosexuellenehe, die der VfGH daraufhin ermöglichte. Türkis-Grün gab bei einer „Klimaklage“ gegen Begünstigungen für die Luftfahrt im Jahr 2020 keine Stellungnahme ab, hier hielt das angefochtene Recht aber. In der Verjährungscausa hätte die Regierung bis 28. März Zeit, um sich zu äußern. Bis dahin findet aber planmäßig kein Ministerrat mehr statt, und durch diesen müsste die Stellungnahme gehen.

2 Warum ist das Thema politisch so strittig, dass es keine Einigung gibt?

Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) begründet den Koalitionsstreit, über den zuerst der „Kurier“ berichtete, mit Beschuldigtenrechten. Die Verjährungsfrage könne hier „möglicherweise“ ein Ansatzpunkt für die Reform sein. Auch gegenüber der „Presse“ verweist Edtstadlers Büro darauf, dass man 2021 in einem Ministerratsvortrag vereinbart habe, Strafverfahren zu verkürzen. „Vor diesem Hintergrund ist es aus unserer Sicht nicht sinnvoll, die aktuelle Rechtslage zur Verjährungshemmung zu verteidigen.“ Justizministerin Alma Zadić (Grüne) betonte, dass sie die Regelung gern verteidigen würde. Denn in fast allen westlichen Demokratien gebe es Regelungen, um zu verhindern, dass sich Personen zu leicht durch Verjährung einer Strafe entziehen.

3 Was spräche für, was gegen eine raschere Verjährung?

Die Ermittlungen im Buwog-Verfahren dauerten viele Jahre, der Prozess auch. Man könnte damit argumentieren, dass das Recht auf ein faires Verfahren (Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention) verletzt werde, wenn Verfahren so lang dauerten. Und in der Schweiz gibt es zum Beispiel absolute Verjährungsfristen, die unabhängig von Ermittlungen gelten.

Ein Gegenargument wäre, dass das geltende Recht schon Beschleunigungsanträge kennt. Und dass lange Ermittlungen auch durch Verzögerungstaktiken von Beschuldigten oder komplizierte Rechtshilfeersuchen ans Ausland verursacht werden. Überdies könnte sich ein Beschuldigter durch Flucht der Verurteilung entziehen, wenn es eine absolute Verjährungsfrist gäbe. Bernd Ziska von der Vereinigung der Staatsanwälte warnt vor zu kurzen Verjährungsfristen. Schon jetzt seien diese teilweise sehr knapp, bei Diebstahl etwa ein Jahr. Verlöre man auch noch die Möglichkeit, die Fristen mit Ermittlungsschritten zu stoppen, blieben viele Täter straffrei.

4 Wird es den VfGH beeinflussen, dass die Regierung keine Argumente vorbringt?

Der VfGH bekäme dann zwar zunächst nur die Argumente der das Gesetz anfechtenden Personen auf den Tisch. Aber die Richter prüfen ohnedies auch unabhängig von dem bei ihnen Vorgebrachten alle Punkte, die für beziehungsweise gegen ein Gesetz sprechen. „Der VfGH wird sich davon nicht beeindrucken lassen“, meint daher Verfassungsjurist Karl Stöger von der Uni Wien zum geplanten Schweigen der Regierung.

5 Welche Folgen hätte es, wenn der VfGH die geltende Verjährungsregel tatsächlich kippte?

Realistischerweise würde der VfGH dann eine Übergangsfrist setzen, ab der die alten Regeln außer Kraft treten beziehungsweise bis wann die Politik eine Neuregelung finden muss. Bis dahin würden Straftäter noch nach der bisherigen Verjährungsregel verurteilt werden. Doch jenen Personen, die die Regelung erfolgreich am VfGH gekippt haben, winkt die sogenannte Ergreiferprämie. Für sie wäre das Gesetz sofort nicht mehr anwendbar, sagt Verfassungsjurist Peter Bußjäger von der Uni Innsbruck zur „Presse“. Und das hätte zur Folge, dass die Antragsteller tatsächlich straffrei blieben.

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