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Fokus: Festival "Europa in Szene"

„Theater als sinnlicher Spielball“

Vom 1. März bis 2. April 2023 stehen Stücke und Texte von Friedrich Schiller und Václav Havel, die Fortsetzungen der Serie „Reden!“ und internationale Gesprächsgäste im „Salon Europa“ auf dem Programm.
Vom 1. März bis 2. April 2023 stehen Stücke und Texte von Friedrich Schiller und Václav Havel, die Fortsetzungen der Serie „Reden!“ und internationale Gesprächsgäste im „Salon Europa“ auf dem Programm.Julia Kampichler
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Bühne. Das Festival „Europa in Szene“ in den Kasematten Wiener Neustadt widmet sich ab 1. März dem Thema „Gedankenfreiheit“ mit Premieren, Diskussionen und Revitalisierungen spannender Reden. Leiterin Anna Maria Krassnigg im Gespräch.

Was war zuerst da: Der Wunsch, „Don Karlos“ zu spielen – oder jener, Gedankenfreiheit zum Festivalmotto zu machen?

Anna Maria Krassnigg: Oft ist es ja das Unbewusste, das Theatermenschen lenkt. Im Grunde war zuerst die Diskussion im Ensemble über die Themen freies Denken und Formulieren da. Aus dem wurde dann fast zeitgleich die Idee geboren, ein Werk des „Urvaters der Gedankenfreiheit“, Schiller, zu spielen. Man kann sagen: Wir waren „angetrunken“ von den Debatten rund um das Thema und sind dann direkt auf das Stück gekommen.

Inwiefern ist der Zugang von „Europa in Szene“ ein anderer als anderswo?

Krassnigg: Wir wollen Theater als einen der letzten sinnlichen Spielbälle präsentieren, mithilfe dessen sich Menschen jenseits ihrer ­Bubble begegnen. Für uns ist immer entscheidend, dass Theater geistreiche Unterhaltung sein soll. Und dann wollen wir einen Funkensprung hin zu Dialogen ermöglichen. Menschen, die sich zu den Themen auf berufene Weise etwas überlegen, so wie es unsere Gäste eben tun, kommen ins Gespräch. Wir wollen substanziellen Inhalt bieten, über den das Publikum debattieren kann, auch wenn es vorher nicht drei Proseminare dazu besucht hat.

Sie legen die Inszenierungen in die Hände junger Regisseure – welchen zusätzlichen Reiz bringt das?

Krassnigg: Als Ausbildende am Max Reinhardt Seminar möchte ich natürlich, dass diese Menschen in den Theaterbetrieb reinkommen. Ich bin kein Fan davon, dass gut ausgebildete Leute kaffeekochend als Hilfskräfte am Theater geparkt werden. Sie sollen ihr Know-how zeigen dürfen. Und wenn jemand sagt: Wie sollen junge Leute Klassiker wie „Don Karlos“ machen, erwidere ich gerne: Der Autor war oft auch nicht viel älter. Die jungen Regisseure haben einen anderen Blick auf die Stücke, den ich sehr spannend finde und der mich oft schon überrascht hat.

Festivalleiterin Anna-Maria Krassnigg.
Festivalleiterin Anna-Maria Krassnigg.(c) Andrea Klem

Was fasziniert Sie am zweiten Stück, Václav Havels „Audienz“?

Krassnigg: Wenn man über Gedankenfreiheit spricht, ist es interessant, das Thema auch auf eine jüngere Epoche zu beziehen, wie es hier durch den Prager Frühling geschieht. Man kann so gut zeigen, wie dies unseren Systemen auf schauerliche Art ähnelt. Havel hat eigentlich Farcen geschrieben im Stil der Black Comedy, mit großer Kenntnis autoritärer Strukturen. Auf bittere und hoch komische Weise zeigt er, wie Menschen mit Haltung unter die Räder eines Regimes kommen. Da Havel ein gewitzter Bühnenautor ist, hat das Schwejk’sche Züge. Die Hauptfigur in „Audienz“ ist ein Alter Ego des jungen Havel, das sich mit Rückgrat und List zu wehren weiß.

Inwiefern kann gerade durch die Absurdität noch besser ein Bezug zu heute hergestellt werden?

Krassnigg: Weil uns das Lachen natürlich befreit. In dem Moment, in dem man sieht, wie der Apparatschik bespitzelt, aber gleichzeitig möchte, dass man ihn sympathisch findet, denkt man sich: Das kann doch nicht wahr sein! Und doch ist es komisch. Es geht darum, wie man auf schlaue Art und Weise Systeme ausnützt, und auch um Käuflichkeit. Man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll.

Auf die Aufführungen von ­„Audienz“ werden sogenannte Nach(t)gedanken folgen, Diskussionen zu Meinungsfreiheit, Rückgratlosigkeit, Haltung. Gibt es hier einen roten Faden oder lassen Sie sich auch von Reaktionen und Fragen leiten?

Krassnigg: Alle unsere Gäste garantieren Sprachgewandtheit und Haltung – und stehen für eine Lust, sich mit den Fragen, die uns beschäftigen, auseinanderzusetzen. Natürlich lassen wir uns insoweit treiben, als dass sie originelle Menschen sind, die zu dem Thema „Was heißt Meinung und Rückgrat gegenwärtig“ viel beitragen können. Was alle Gäste eint, ist die Lust, danach zu forschen, wie man in diffusen und manipulativen Zeiten Haltung beweisen kann – im Mündlichen wie im Schriftlichen.

Sie lassen in einem eigenen Programmpunkt historische und bedeutende Reden vortragen und analysieren. Wie wählen Sie diese aus?

Krassnigg: Entlang des Spielplanmottos. Wenn man sich selbst einen Begriff verordnet und sich an diesem künstlerisch wie diskursiv abarbeitet, ist das Schöne, dass man hier bald Passendes findet. Wir haben die Reden nach verschiedenen Formen der Freiheit geordnet, die Freiheit des Denkens, des Entscheidens, des Träumens und des Sprechens. Da ist man beim Träumen rasch bei Max Reinhardt, beim Sprechen bald bei Toni ­Morrison, die einen neuen Umgang mit der Sprache der Unterdrückten fordert. Wir haben Reden gesucht, die sich mit dieser Krux beredt befassen.

Und bewahren diese quasi durch das Vortragen davor, in Vergessenheit zu geraten . . .

Krassnigg: Wir freuen uns sehr, dass das Publikum die Möglichkeit gerne wahrnimmt, diese Reden wiederzuhören, die ansonsten nicht präsent sind. Man weiß, dass es sie gibt, aber man kann sie normalerweise nicht hören, obwohl sie ganz große Sprachkunstwerke sind. Wir versuchen, hier eine Lücke zu schließen.

Inwiefern ist öffentlicher Diskurs, wie Sie ihn in den Nach(t)gesprächen und im Salon Europa machen, wichtig, um Theater noch relevanter zu machen?

Krassnigg: Ich denke, man kann Theater entweder auf der Ebene „nice to have“ konsumieren, im Sinne von: Ich esse mich mit etwas voll – und sage danach, es passt gut zum Wein und das Licht hat mir gefallen. Gegen diese reine Konsumebene ist wenig zu sagen. Aber uns interessiert, klassische und zeitgenössische Autorinnen und Autoren zu bringen und die Funken und Gesprächsansätze, die sie liefern, zu nutzen. Diesen wichtigen Raketenanschub, den Theater leisten kann, nicht in Diskussionen münden zu lassen, wäre schade. Wir möchten dafür Anlässe und Gelegenheiten schaffen, damit an der Bar und im Salon weiterdiskutiert wird. Denn unserer Erfahrung nach ist das Bedürfnis nach Austausch groß. Und wenn der Korken aus der Flasche ist, können das sehr lange Abende werden.

Was hat „Europa in Szene“ mit Ihren bisherigen Wirkungsstätten im Salon 5 in Wien und im Thalhof Reichenau gemein und inwiefern ist der aktuelle Spielort – die Kasematten – eine Bereicherung?

Krassnigg: Die Gemeinsamkeit ist der Grund, warum man aus Wiener Neustadt auf mich zugekommen ist: Es geht immer um verwundete Räume, die historisch auf die eine oder andere Art bedeutend sind, ob beim Salon 5, dem Thalhof oder nun eben hier. Die Kasematten waren in Mittelalter und Frührenaissance Waffenlager, später ein Schutzraum. Es ist ein schöner Wehrbau, der hervorragend renoviert wurde. Diese Räume atmen sehr viel. All das macht es uns möglich, über das klassische Guckkastentheater hinaus Begegnungsstätten zu schaffen.

Auf einen Blick

„Europa in Szene“

Von 1. März bis 2. April findet in den Kasematten Wiener Neustadt das Festival „Europa in Szene“ statt.

Die künstlerische Leiterin Anna Maria Krassnigg hat heuer als roten Faden das Thema „Gedankenfreiheit“ ausgewählt. Dazu bringt sie „Don Karlos“ von Friedrich Schiller (ab 1. März) sowie Václav Havels „Audienz“ (ab 4. März) zur Aufführung. Umrahmt werden diese beiden szenischen Aufführungen von Diskussionen, einer Theaterserie erlesener Rhetorik sowie „Salon Europa“ genannten Sonntagsmatineen.

Das Festival „Europa in Szene“ in den Kasematten, hinter dem das Theaterlabel Wortwiege steht, definiert sich als Ort lebendiger darstellender Kunst, des Austauschs und der Verhandlung.

https://www.wortwiege.at/

„Don Karlos“ und „Audienz“ als Premieren

Zwei Neuinszenierungen sind das Kernstück des Festivals. Schillers „Don Karlos“ stellt die Frage, ob es möglich ist, für die Freiheit der anderen zu kämpfen, wenn man selbst in Unfreiheit lebt. Václav Havels Stück „Audienz“ dreht sich um einen Bühnenautor in der Zeit nach der Niederschlagung des Prager Frühlings. Regie führen Dávid Paška und Florian Thiel, beide wurden am Max Reinhardt Seminar ausgebildet.

Václav Havels „Audienz“ – eine Rarität.
Václav Havels „Audienz“ – eine Rarität.Julia Kampichler

„Nach(t)-gedanken“: Bezug zur Gegenwart

Im Epilog zu den Aufführungen von „Audienz“ von Václav Havel spricht Festivalleiterin Anna Maria Krassnigg mit Autorinnen und Autoren wie Peter Roessler, Theodora Bauer, Daniela Strigl, Gerhard ­Ruiss und weiteren mehr über Rückgratlosigkeit, geistlose Gleichschaltung und Meinungsfreiheit. Die Diskussionen bilden quasi den zweiten Akt der „Audienz“-Vorstellungen und sollen einen Bezug zur Gegenwart herstellen.

Nach(t)gedanken u. a. mit Theodora Bauer.
Nach(t)gedanken u. a. mit Theodora Bauer.Paul Feuersänger

Theaterserie „REDEN!“: Historisch, heutig

Ob Jesus von Nazareth, Ingeborg Bachmann, Friedrich Schiller oder Václav Havel: Was haben uns ihre Reden heute noch zu sagen? Ihre Glanzleistungen der Vortragskunst werden von Schauspielerinnen und Schauspielern präsentiert und von Anna Maria Krassnigg mit Gästen wie Olga Flor, Helga Rabl-Stadler, Elisabeth von Samsonow und Daniel Wisser analysiert. Mit dabei sind auch Reden von Max Reinhardt und Toni Morrison.

Glanzleistungen der Vortragskunst.
Glanzleistungen der Vortragskunst.Julia Kampichler

„Salon Europa“: Impuls und Dialog

In Sonntagsmatineen sollen Gespräche zur Gedankenfreiheit das Festivalmotto auf eine weitere Ebene bringen. Kulturphilosoph Wolfgang Müller-Funk spricht mit Gästen wie dem tschechischen Schriftsteller Jaroslav Rudiš, dem ukrainischen Schriftsteller und Psychoanalytiker Jurko Prochasko, dem österreichischen Literaturwissenschaftler Wynfrid Kriegleder und der amerikanischen Literaturwissenschaftlerin Liliane Weissberg.

Gespräche zu dem Thema Gedankenfreiheit.
Gespräche zu dem Thema Gedankenfreiheit.Julia Kampichler

Information

Dieser Beitrag erscheint mit finanzieller Unterstützung des Theaterfestival der Wortwiege.


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