Pestizide: Wie gefährlich ist Rapsöl?

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PESTIZIDE(c) APA/DPA/ARNE DEDERT (DPA/ARNE DEDERT)
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Eine Studie vergleicht die Gefährlichkeit Pflanzenschutzmitteln, kommt dabei zu überraschenden Ergebnissen und zeigt, dass die bisher vorliegenden Methoden unzureichend sind.

„Zurück zur Natur“ und „Zurück zu mehr Natürlichkeit“: Unter diesen Überschriften hat die EU den „Green Deal“ formuliert – und einer der Kernpunkte dabei ist die „Farm-to-Fork“-Strategie. Durch sie soll unter anderem sichergestellt werden, dass der Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln bis 2030 halbiert wird. Ob dies tatsächlich in dieser Deutlichkeit beschlossen wird, bleibt abzuwarten.

Es gibt allerdings nicht nur politische Unwägbarkeiten, sondern auch wissenschaftliche: Unklar ist nämlich auch, was mit „Halbierung“ konkret gemeint ist wie eine Halbierung objektiv festgestellt werden soll. Die Halbierung der Menge von Pflanzenschutz-Zubereitungen ist ebensowenig aussagekräftig wie die Halbierung der Menge von Wirksubstanzen. Denn die werden immer konzentrierter, das heißt: Weniger Wirkstoff vermag mehr zu bewirken.

Um die Folgen für Flora, Fauna und letztlich auch die Gesundheit des Menschen abschätzen zu können, wurde ein „Harmonisierten Risiko-Indikator“ (HR 1) entwickelt, der allerdings grobe Schwachstellen aufweist. Es gibt zwar Bestrebungen, einen anderen Indikator zu entwickeln, fixiert ist ein solcher aber noch nicht.

In dieser wissenschaftlichen Lücke hinein erscheint nun eine Studie, mit der versucht wird, die Gefährlichkeit von Pflanzenschutzmitteln zu bewerten.

Dazu ist wichtig zu wissen, dass der Begriff „Pestizide“ alle Arten von Pflanzenschutzmitteln beschreibt – sowohl in der Natur vorkommende, als auch chemisch-synthetisch hergestellte. Die chemisch-synthetischen werden nur in der herkömmlichen Landwirtschaft eingesetzt, die in der Natur vorkommenden sowohl in der konventionellen als auch in der biologischen (etwa Schwefel, Kupfer, Raps- oder Sonnenblumenöl). Letzteres nur dann, wenn dies der letzte Ausweg ist. 90 Prozent der Bio-Flächen kommen ohne den Einsatz von natürlich vorkommenden Pestiziden aus.

1,2 Millionen Unterstützter einer Europa-Bürgerinitiative

Die bloße Mengen-Betrachtung zeigt jedenfalls ein verzerrtes Bild: Die Konzentrationen der chemisch-synthetischen Mittel werden immer höher, und somit die Mengen immer geringer; bei natürlich vorkommenden ändert sich diesbezüglich nichts. Für alle Mittel, gleich ob natürlich oder künstlich, bedarf es behördlicher Zulassungen.

Vor den nächsten Verhandlungen zum Thema auf EU-Ebene efrscheint nun eine Studie, in der die Gefährlichkeit der unterschiedlichen Arten von Pestiziden beurteilt wird. Lead-Autor ist Helmut Burtscher-Schaden, Umweltchemiker von „Global 2000“. Er hat auch eine europäische Bürgerinitiative („Bienen und Bauern retten“) organisiert, die von 1,2 Millionen Europäern unterstützt wird und darauf abzielt, dass auf chemische Pestizide komplett verzichtet werden soll. Die Studie wurde im Auftrag von IFOAM erstellt, der europäischen Dachorganisation für Bio-Landwirtschaft. Unter die Lupe genommen wurden in der Arbeit mehr als 400 Pestizide -  256, die ausschließlich in der konventionellen Landwirtschaft eingesetzt werden und 134, die auch für Bio-Anbau genehmigt sind.

55 Prozent der Pestizide für die konventionelle Landwirtschaft sind mit einer Warnung vor einer Umweltgefährdung versehen. Bei den 134 Substanzen, die auch im Bio-Anbau zugelassen sind, gibts nur bei drei Prozent eine Warnung vor Umweltrisiken. Vor möglichen Schäden für Ungeborene, vor potentieller Kanzeroginität oder akuten tödlichen Wirkungen wird bei 16% der Pestizide gewarnt, die für die konventionelle Landwirtschaft zugelassen; solche Warnungen finden sich auf keiner der Mittel, die auch für den Bio-Anbau erlaubt sind. Vorsorge-Richtwerte wurden von der europäischen Lebensmittel-Agentur (EFSA) für 93 Prozent der Substanzen erlassen, die für konventionelle Landwirtschaft eingesetzt werden dürfen, aber nur bei sieben Prozent der natur-aktiven Substanzen.

1500-mal giftiger

Helmut Burtscher-Schaden: „Die Unterschiede, die wir gefunden haben, sind signifikant und wenig überraschend, wenn man sich mit der Materie genauer befasst.“ Etwa 90 Prozent der Pestizide für die konventionelle Landwirtschaft sind chemisch-synthetischen Ursprungs. Bei den für Bio erlaubten Pestiziden sind 56 Prozent lebende Organismen, die „keine gefährlichen Eigenschaften haben“, so Burtscher-Schaden. Bei den übrigen enthielten viele Ingredienzien mit geringem Gefährdungspotential (wie etwa Backpulver) oder sie gehörten zu Grundsubstanzen, wie etwa Sonnenblumen- oder Rapsöl.

Es sei grotesk, dass Rapsöl, „das viele in der Küche haben“, gegenüber chemisch-synthetischen Wirkstoffen 1500-mal giftiger sein soll. Zu dem Ergebnis kommt eine Bewertung nach dem derzeit vorgeschlagenen Indikator, so Burtscher-Schaden. „Das zeigt, dass dieser Indikator - HR 1 - für die Beurteilung völlig ungeeignet ist.“

Jan Plagge, Präsident der Bio-Vereinigung IFOAM, resümiert: „Es ist nun klar, dass die in der konventionellen Landwirtschaft zugelassenen synthetischen Wirkstoffe weitaus gefährlicher und problematischer sind als die in der Biolandwirtschaft zugelassenen natürlichen Wirkstoffe. Biobetriebe konzentrieren sich auf vorbeugende Maßnahmen wie die Verwendung robuster Sorten, sinnvolle Fruchtfolgen, die Erhaltung der Bodengesundheit und die Erhöhung der Artenvielfalt auf dem Feld, um den Einsatz von externen Betriebsmitteln zu vermeiden."

Und weiter: „Aus diesem Grund werden auf rund 90 % der landwirtschaftlichen Flächen (vor allem im Ackerbau) keinerlei Pestizide eingesetzt, auch keine natürlichen Stoffe. Sollten die Schädlinge dennoch überhand nehmen, ist der Einsatz von Nützlingen, Mikroorganismen, Pheromonen oder Abschreckungsmitteln die zweite Wahl der Biobauern. Natürliche Pflanzenschutzmittel wie die Mineralien Kupfer oder Schwefel, Backpulver oder pflanzliche Öle sind der letzte Ausweg für Spezialkulturen wie Obst und Wein."

Herkömmliche Landwirtschaft ist ein starker Belastungsfaktor für das Weltklima. Der biologische Anbau ist weitaus klimaverträglicher. Unter anderem auch deshalb, weil der Boden weniger bis gar nicht ausgelaugt wird und sich Humus aufbauen kann.

Die Bäuerin Lili Balogh, Präsidentin von „Agroecology Europe“, meint: „Die Umsetzung der Farm-to-Fork-Strategie und der Biodiversitätsstrategie mit ihren Pestizidreduktionszielen ist essentiell, um widerstandsfähige, agrarökologische Lebensmittelsysteme in Europa zu etablieren. Mit präventiven und natürlichen Maßnahmen, wie Arten- und Sortenvielfalt, kleinbäuerlichen Strukturen und Verzicht auf synthetische Pestizide schaffen wir ein nachhaltiges Landwirtschafts- und Lebensmittelsystem, das Krisen gut übersteht.”

>> Studie im Volltext

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