Detroit: Downsizing einer Großstadt

Detroit Downsizing einer Grossstadt
Detroit Downsizing einer Grossstadt(c) EPA (JEFF KOWALSKY)
  • Drucken

Michigans "Motor City" ist schon lange der Sprit ausgegangen. Detroits Downtown verfällt im atemberaubenden Tempo. Die einst viertgrößte Stadt der USA ist zum Mekka für Fotografen geworden - Stilrichtung: "Ruin Chic".

Detroits „People Mover“ ist die niedliche Miniatur eines öffentlichen Verkehrsmittels. Die Trasse, auf der ein einziger Waggon seine Runden durch Downtown dreht, ruht auf Stelzen, wie um den Autos nicht in die Quere zu kommen. Nicht, dass auf den Straßen viel Betrieb wäre.

Besucher der Auto Show, die alljährlich im Jänner in der Messehalle tagt, springen gern auf eine Runde in den Mover, Fahrpreis: 50 Cents. Die Linie ist eine Geisterbahn. Es gibt von Jahr zu Jahr weniger zu sehen – oder mehr vom Nichts, das die Stadt aufzufressen scheint. Man kann ihr bei der Auflösung zuschauen.

Leer stehende Gebäude, oft im Ausmaß von Wolkenkratzern, werden nach Möglichkeit zügig abgetragen. Das hat zum einen bautechnische Gründe. Ein Haus, das nicht in Betrieb ist, nicht geheizt und gepflegt wird, zieht Feuchtigkeit an, die Fundamente verrotten. Die Winter in Michigan sind lang und hart. Zum andern fürchtet man die Ruinen – was wehende Vorhänge in leeren Fensterrahmen ausstrahlen, was sie als dankbare Notunterkünfte anziehen könnten.

Parken im Ballsaal. Alte Pracht kann man noch im „Guardian Building“ bewundern, mit einer Kassenhalle als strahlender Kathedrale des Kapitals. Die Etagen dieses „nationalen historischen Wahrzeichens“ hat der Erhalter selbst bezogen, die Stadtverwaltung. Anderswo weicht Art-Deco-Architektur – die aufragende Kühnheit der amerikanischen Gründerzeit – Parkplätzen. Als holten sich die Autos, was sie aufgebaut haben. Sogar im ehemaligen Ballsaal konnte man parken, bevor er dafür zu baufällig wurde. Ein Drittel des Stadtzentrums ist bereits Freifläche.

Mehr als 1,8 Millionen Einwohner zählte die City in den Fünfzigerjahren, heute ist es die Hälfte, Tendenz stark fallend. Hier hält sich eigentlich nur, wer nicht weg kann. Der Großraum Detroit dagegen ist über die Jahrzehnte auf über fünf Millionen Einwohner angeschwollen. Der Zug der Weißen in die Suburbs – als milde Form der Segregation – begann schon in den Fünfzigern, als es noch jede Menge Jobs gab. Nach den Rassenunruhen Ende der Sechziger machten sich dann die Letzten, die noch Kaufkraft im Stadtzentrum verteilten, aus dem Staub.

Die Entvölkerung der alten Stadtzentren, ihre Reduktion auf Geschäfts- und Bankenviertel ist ein Phänomen amerikanischer Großstädte. Es gehört nicht Detroit allein. Doch nirgendwo ist der Niedergang so gründlich und offenbar unumkehrbar wie hier.

Die Autoindustrie hat Detroit groß gemacht. Bei ihrer Talfahrt hat sie die Stadt mitgenommen. Sie wird sie nicht retten, wenn es wieder besser laufen sollte. Im Jahr 1980, als Chrysler zum ersten Mal vom Staat gerettet werden musste, bemerkte ein Essayist den Wandel: „Die Autoindustrie steht nicht in enger Verbindung mit der Stadt oder mit den Leuten, die hier leben. Die Industrie spricht mit der Industrie.“

General Motors und Chrysler finden sich gerade noch unter den Top Ten der Detroiter Arbeitgeber, mit zusammen 9000 Angestellten stellen sie Platz acht und neun. Eins bis sieben: Behörden und staatliche Einrichtungen. Die Hersteller sind selbst Patienten: Den Zusammenbruch von GM musste Präsident Obama mit Steuergeld verhindern, Chrysler wird an die Italiener verhökert. Wenn die Krise überwunden ist, und dafür gibt es immerhin erste Anzeichen, dann werden die einstigen Giganten hinter sich haben, was in den Werkshallen bei Karosserien und Motoren praktiziert wird: Downsizing, das Gesundschrumpfen zum Zweck wettbewerbsfähiger Effizienz. Bei Zylindern verkleinert man den Hubraum. Im Management setzt man auf Entwicklung und Produktion, wo es am günstigsten kommt. Zum Beispiel in Südkorea. Für die Deindustrialisierung des Landes stehen Werksruinen, soweit das Auge reicht.


Hoffnungsschimmer. „It feels so good“, wird Ford-Chairman Bill Ford in der „Detroit Free Press“ zitiert, „now to be adding jobs.“ Das sprach er auf der Auto Show: Nach den Kahlschlägen der letzten zwei Jahre will der Hersteller in Dearborn, einem Vorort von Detroit, wieder Leute einstellen, von 7000 Jobs ist die Rede. General Motors hat sich mit dem Elektroauto Chevy Volt weit hinausgelehnt (auch, um staatliche Auflagen für die Rettung zu erfüllen). Das Stromauto ist ein Hoffnungsschimmer für eine mögliche neue Art von Industrie, die sich in der Region etablieren könnte.

Können DJs eine Stadt retten? „Vinyl Valley“? Das musikalische Erbe von „Motown“ ist reich. Techno wurde angeblich hier erfunden. Eminem kämpfte sich in der „8 Mile Road“ als weißer Rapper nach oben. Oder „Urban farming“: Platz gibt's genug. Fürs Erste versorgt ein Biobäcker die kleine Kreativszene mit Brot, Gemüse und Kaffee. Die schicken Luxuslofts an der Riverside, Blick auf Kanada, kann man wahrscheinlich günstig beziehen.

Als Reiseziel lockt die Stadt Fotografen, ihre Motive erinnern an die Dörfer um Tschernobyl: fluchtartig verlassene Stätten einstiger Betriebsamkeit, die Spuren von Leben der Verwitterung überlassen. Wohl nichts für den Tourismus. Es gibt zwei große Hotels, zwei Stadien, aber keine Mall, kaum Lokale. Meist ist man allein auf der Straße.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.