Leitartikel

Die Brexit-Zündschnur in der Schengen-Blockade

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SymbolbildROBERT GHEMENT / EPA / picturede
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Politische Themensetzung ist fatal, wenn sie einzig dem Zweck dient, sie nicht anderen zu überlassen. Insbesondere, wenn sie sachlich nicht vorbereitet ist.

Es war im Jänner 2013 vor fast genau zehn Jahren. Der britische Premierminister David Cameron geriet innenpolitisch unter Druck. Seine Wiederwahl war nicht gesichert. Die EU-Gegner innerhalb der eigenen Tory-Partei und die EU-skeptische Ukip-Opposition machten Druck. Deshalb ließ er sich hinreißen, das Thema an sich zu ziehen. Er kündigte an, eine Änderung der EU-Verträge durchzusetzen und danach die Bevölkerung zu befragen, ob Großbritannien mit dieser Reform in der Gemeinschaft bleiben soll oder nicht. Auch wenn Cameron das später mit allerlei Ausreden rechtfertigte, es ging ihm damals einzig und allein um seine eigene politische Zukunft. Der Glaube, er könnte über ein einzelnes politisches Druckmittel ohne vorherige Absprache mit den EU-Partnern das Grundgerüst der EU so weit ändern, dass es allen Briten gefällt, war eine Illusion. Das Ergebnis kennen wir: Die verhandelte Reform der EU war ein Reförmchen, das Referendum ein Desaster, der Schaden für das Land riesig.


Statt einer sachlichen Debatte im Land entwickelte sich eine von Vorurteilen überlagerte Auseinandersetzung, die zu einer Spaltung der britischen Gesellschaft und einem ökonomischen Einbruch führte. Als seine Themensetzung schiefging, soll Cameron bei seinem Auszug aus Downing Street 10 lapidar gesagt haben: Jetzt müssten andere den Dreck aufräumen.

Trotz solcher Erfahrungen machen es politische Führungsfiguren immer wieder: Sie besetzen emotionale Themen, überschätzen ihren Handlungsspielraum und riskieren einen politischen Flächenbrand. Der Fehler wird eigentlich von ihren Kommunikationsstrategen begangen – auch in Österreich: Da kündigte etwa der damalige Außenminister Sebastian Kurz 2016 die Schließung der Balkanroute an. Er wollte das Thema Migration nicht der FPÖ überlassen. Doch sein politisches Handeln erfüllte mangels guter Vorbereitung und breiter Kooperation mit EU-Partnern – wie wir heute wissen – nicht die Erwartungen. Die Route ließ sich nicht nachhaltig schließen, der kleine Pakt mit zwielichtigen Partnern in Budapest und Belgrad hielt nicht lang. Im vergangenen Jahr war die Route wieder bevölkert wie zuvor.

Es war eine Beleidigung unserer Intelligenz, um den jetzigen Bundeskanzler zu zitieren, als uns wenige Jahre danach dieselbe politische Ankündigung vorgesetzt wurde. Und es war skurril, dass sich diesmal Karl Nehammer dafür mit denselben zwielichtigen Partnern in Budapest und Belgrad an den Tisch setzte. Heikel wurde es, weil dann noch ohne jede Vorbereitung der Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien in der EU blockiert wurde. Dass es so weit kam, kurz nachdem der ehemalige Kurz-Kommunikationsberater in die ÖVP-Zentrale zurückgekehrt war, ist wohl kein Zufall. Er verkaufte uns intellektuell entmündigten Bürgern die Schließung der Balkanroute also zum zweiten Mal.

Ohne vorherige Analyse, was außen- und wirtschaftspolitisch sinnvoll ist, wurde angekündigt, dass mit diesem Druckmittel das zweifellos vorhandene europäische Migrationsproblem in den Griff bekommen würde. In Geiselhaft geriet dafür Rumänien, ein Land, das nicht einmal an der Balkanroute liegt.

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