Kreisky: "Wutanfälle vor der Kamera"

Kreisky Wutanfaelle Kamera
Kreisky Wutanfaelle Kamera(c) Teresa Zötl
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Die Historikerin Helene Maimann steuert zum 100.Geburtstag von Bruno Kreisky ein Buch und einen Film bei, der im ORF ausgestrahlt wird.

Kreisky kam damals zu Fuß vom Ballhausplatz. Das weiß Helene Maimann noch. Auch den Hörsaal – Nummer 39 – hat sie nicht vergessen. Ein kleiner Saal, der längst durch Umbauten an der Wiener Universität beseitigt wurde. „Er kam herein, hat sich vorne hingelehnt, die Hände immer wieder in die Taschen gesteckt und erzählt“, sagt Maimann. Die erste Begegnung mit Bruno Kreisky, in einem Seminar über den österreichischen Staatsvertrag, ist der Historikerin und Filmemacherin im Gedächtnis geblieben.

Auf die erste Begegnung folgte rasch die zweite: Ein Interview für ihre Dissertation über österreichische Exilpolitik, da er als Jude die Zeit des Nazi-Regimes im schwedischen Exil verbringen musste. „Den Termin hatte ich schnell. Ich habe ihm einen Brief geschrieben, und eine Woche später bin ich bei ihm im Kanzleramt gesessen.“ Danach folgten informelle Gespräche, Diskussionen – und immer wieder Interviews, etwa für ihre Ausstellung über den Bürgerkrieg im Februar 1934. „Er hat sich als erster Geschichtssachverständiger des Landes gesehen.“

Die Auseinandersetzung mit der Figur Kreisky als Staatsmann und Medienfigur begann Maimann freilich erst später. Zu seinem zehnten Todestag hat sie einen ersten Film über die Kreisky-Ära gemacht. Der Porträtfilm, der nun anlässlich seines Hundertsten (am 22. Jänner) im ORF gezeigt wird, ist ein lang geplantes Projekt. Monatelang hat sie Archivmaterial durchforstet und ein Dutzend Persönlichkeiten interviewt, die ihn gekannt haben: Henry Kissinger, Kreiskys deutschen Amtskollegen Helmut Schmidt, Tschechiens Außenminister Karl Schwarzenberg, ehemalige Mitarbeiter und Wegbegleiter aus der Partei wie Hannes Androsch und Heinz Fischer. Das Porträt sollte durchaus kritisch sein, so wie Maimann Kreisky auch stets gesehen hat. „Ich halte nicht viel von einer Ikonisierung. Außerdem gibt es keinen bedeutenden Menschen, der nicht in und von seinen Widersprüchen lebt.“

Schon während des Drehs stand fest, dass die interessanten Gespräche, die in dem rund einstündigen Dokumentarfilm nur ausschnittweise gezeigt werden können, zusätzlich publiziert werden müssen. Für das Buch „Über Kreisky“ (Falter Verlag, 29,90 €) hat sie schließlich auch Kreiskys Sohn Peter interviewt, der Ende Dezember im mallorquinischen Feriendomizil der Familie überraschend gestorben ist. Es war vermutlich eines seiner letzten Interviews. Peter Kreisky habe ganz stark vorgehabt, sich in den nun anstehenden öffentlichen Diskussionen über seinen Vater einzubringen. „Er hätte auch sicher eine Botschaft gehabt“, glaubt Helene Maimann.


Nicht Bruno, der Große. Film und Buch sind als reine Kreisky-Porträts angelegt. „Er war eine schillernde Persönlichkeit. Ich wollte dieses Schillern zeigen.“ Dabei sagt Maimann von sich, dass er für sie „keinesfalls Bruno, der Große war“. Immer wieder war sie mit ihm politisch nicht auf Linie: „Die Wiesenthal-Kontroverse hat mich für eine Weile ziemlich weit weg von ihm gebracht.“ In dem „zementenen Land Österreich“ habe er aber „die Fenster aufgemacht“.

Seine Popularität erklärt sich Maimann ein Stück weit damit, dass er eine unverstellte, un-gecoachte Art gehabt hat. „Er konnte Wutanfälle vor der Kamera kriegen und grantig, aber auch sehr ungerecht sein, wie beim berühmten Angriff auf den ORF-Redakteur Ulrich Brunner und dem ,Lernen's Geschichte'. Er kannte den Brunner genau, der wollte einfach eine Antwort auf seine Frage, und der Kreisky hat ihn ungerechtfertigterweise angegriffen.“ Das Zitat werde heute immer wieder falsch verwendet – so als hätte Kreisky Recht damit gehabt. Bei Maimann kommt der Sager, so wie viele andere berühmte Zitate, deshalb auch nicht vor. „Ich versuche da schon andere Schwerpunkte zu setzen“, sagt sie.

Buch und Film von Helene Maimann werden am Dienstag präsentiert. Der ORF zeigt den Film „Bruno Kreisky. Politik und Leidenschaft“ am Donnerstag, 20.1., um 21.05 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2011)

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