Brexit

"Keine Grenze" in der Irischen See: EU und Großbritannien legen Nordirland-Streit bei

Ursula von der Leyen und Rishi Sunak besprechen die Lage im Fairmont Hotel in Windsor, westlich von London.
Ursula von der Leyen und Rishi Sunak besprechen die Lage im Fairmont Hotel in Windsor, westlich von London.APA/AFP/POOL/DAN KITWOOD
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EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und der britische Regierungschef Sunak präsentieren in Windsor ihre Einigung. Das Parlament soll darüber abstimmen. Mit Kritik muss Sunak vor allem aus der eigenen Partei rechnen.

Es könnte der Abschluss eines jahrelangen Streitpunkts in der langen Geschichte des Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union sein. Die EU und Großbritannien wollen den Brexit-Streit um Nordirland endgültig beilegen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen war nach Windsor gereist, um mit Premierminister Rishi Sunak eine mögliche Einigung zu erzielen. Sie freue sich darauf, "ein neues Kapitel mit unserem Partner und Freund aufzuschlagen", schrieb sie auf Twitter, bevor sie von Sunak in Windsor nahe London empfangen wurde.

Sunak und von der Leyen präsentierten und kommentierten das Ergebnis der Gespräche bei einer gemeinsamen Pressekonferenz, die kurz vor 17 Uhr zu Ende gegangen ist. Die Mechanismen, die den Menschen in Nordirland das Leben erleichtern sollen, waren im Großen und Ganzen in den letzten Tagen durchgesickert. Man wolle nun allen Beteiligten zeitlich ausreichend Gelegenheit geben, die Details zu begutachten und sich eine Meinung vom Regelwerk zu bilden.

Die grüne und die rote Spur

Die neue Vereinbarung zwischen Großbritannien und der Europäischen Union werde jedes Gefühl einer Grenze in der Irischen See beseitigen, sagte der britische Premierminister Sunak. Die Einigung sehe unterschiedliche „Spuren“ ("Lanes“) für Waren vor, die nach Nordirland kommen. Die grüne ist für Importe vorgesehen, die in Nordirland bleiben - hier sollen die Zollformalitäten fallen. Die rote Spur ist für Waren und Produkte, die weiter nach Irland, also in die EU geliefert werden. Hier bleiben die Formalitäten und Zollbestimmungen bestehen. Sunak zeigte sich überzeugt, dass die Einigung, die praktischen Probleme vieler Menschen lösen würde. „Wenn Lebensmittel in Großbritannien verfügbar sind, werden sie auch in Nordirland verfügbar sein.“ Wer sich ein Paket liefern lasse, müsse sich nicht länger mit Bürokratie herumschlagen.

Das neue „Windsor Framework“ - wie die Einigung, das juristische Rahmenwerk für das Nordirland-Protokoll genannt wird - sei zwar ein juristisch formuliertes Regelwerk, würde jedoch das Leben der Menschen der Region einfacher zu machen.

Ursula von der Leyen betonte die Bedeutung der Einigung für den Frieden in Nordirland. Dieser Frieden, den das Karfreitagsabkommen möglich gemacht hat, könne so weiterhin garantiert werden.

Anschließend sollte die Kommissionschefin von König Charles empfangen werden. Am Abend will Sunak das Parlament über das Ergebnis der Gespräche informieren. Mit Spannung wird nun erwartet, ob Sunak für die Vereinbarung auch Unterstützung von Brexit-Hardlinern seiner Konservativen Partei und der nordirischen Protestantenpartei DUP findet. Die DUP blockiert aus Protest gegen die Regelung seit Monaten die Bildung einer neuen Regierung in Nordirland.

Umstrittenes Kapitel des Brexit-Vertrags

Das Nordirland-Protokoll ist Teil des Brexit-Vertrags über den britischen EU-Austritt. Es sieht vor, dass die Zollgrenze zwischen Großbritannien und der EU in der Irischen See verläuft. Damit sollte verhindert werden, dass Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Republik Irland eingeführt werden müssen. Sonst wurde mit einem Wiederaufflammen des Konflikts um eine Vereinigung der beiden Teile Irlands gerechnet.

Doch die Kontrollen sorgen auch für Schwierigkeiten im innerbritischen Handel. Die protestantischen Anhänger der Union in Nordirland fühlen sich von Großbritannien abgeschnitten. London wollte den Vertrag deshalb nachverhandeln.

Kritik an von der Leyens Besuch bei König Charles

Für Stirnrunzeln sorgte das geplante Treffen von der Leyens mit dem König. Der Monarch hält sich aus Fragen der Tagespolitik stets strikt heraus. Es gilt daher als ungewöhnlich, dass er ausgerechnet an dem Tag mit von der Leyen zusammentrifft, an dem eine umstrittene Vereinbarung mit Brüssel geschlossen werden soll. Kritiker warfen Sunak vor, den König für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Ein Sprecher des Premiers betonte, die Entscheidung, wen der König empfange, liege allein beim Palast.

Sunak steht unter Druck von seinem Vorvorgänger Boris Johnson, der womöglich auf ein Comeback hofft, indem er sich als Vertreter der reinen Brexit-Lehre präsentiert. Doch dass es zum Aufstand der Brexit-Hardliner in der konservativen Partei kommt, gilt inzwischen als unwahrscheinlich. Der Brexit-Vorkämpfer und Nordirland-Staatssekretär Steve Baker äußerte sich am Montag sehr optimistisch zur erwarteten Einigung. Der Premier sei bei den Gesprächen mit der EU an der Schwelle zu einer "fantastischen Vereinbarung für alle Beteiligten", sagte der konservative Politiker zu Journalisten in der Downing Street. Vor kurzem war noch über einen Rücktritt Bakers aus Protest gegen ein Abkommen spekuliert worden.

(APA/dpa/klepa)

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