Klimakrise

Klimapolitik-Experte: "Störaktionen sind mittlerweile gerechtfertigt"

APA/GEORG HOCHMUTH
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Es brauche Aktivistinnen und Aktivisten, die den Menschen den Spiegel vorhalten, sagte Forscher Reinhard Steurer bei einer Diskussion zum Thema "Aktivismus in der Wissenschaft"

Anfang des Jahres stellte sich eine Gruppe Wissenschafter bei einer Klimaprotestaktion am Wiener Praterstern demonstrativ hinter die Aktivisten. Diese "20 Minuten" hätten möglicherweise mehr Effekt gehabt "als 20 Jahre Wissenschaftskommunikation" und "braves" argumentieren, sagte Klimapolitik-Experte Reinhard Steurer, der die Aktion der Forscher initiiert hat. Solche Störaktionen seien mittlerweile durchaus gerechtfertigt. Es brauche den sozialen und zivilen Widerstand.

Mindestens 30 Jahre lang zeige die Wissenschaft akribisch auf, was die massive Steigerung der Treibhausgase in der Atmosphäre für verheerende Auswirkungen auf das Weltklima hat. So etwa im Rahmen der Berichte des Weltklimarates IPCC. Gebracht habe es herzlich wenig: "Wir sind in einer katastrophalen Situation", sagte Steurer am Dienstagabend im Rahmen einer Diskussion zum Thema "Aktivismus in der Wissenschaft - Tabubruch oder Pflicht?" mit Unterstützern der Initiative "Scientists for Future".

Steurer zu „Letzter Generation: „Sind keine Chaoten"

Man sei nun an dem Punkt angekommen, "wo es Störung braucht". Wenn vielerorts unverhohlen verharmlost wird und man es sich im "fossilen Lebensstil" zu gemütlich eingerichtet hat, brauche es Aktivisten, "die den Spiegel vorhalten". Dass sich solche Proteste jetzt dort hinbewegen, wo es tatsächlich zu Störungen für den alltäglichen Ablauf kommt, sei gewissermaßen notwendig. Ein Protest an einem peripheren Kohlekraftwerk-Standort, vor Firmen- oder Parteizentralen sei mittlerweile kaum noch medial erwähnenswert, meinte der an der Wiener Universität für Bodenkultur (Boku) tätige Forscher.

Dass seine Solidarität mit den umstrittenen Klebe-Aktionen der "Letzten Generation", ihm nicht nur Applaus bringt, sei klar gewesen, so Steurer. Er habe damit aber einen Gegenpol zur politischen Diskussion setzen wollen, wo die Gruppe vielfach in die Nähe von "Terroristen" gerückt wurde. "Sie sind keine Kriminellen und Chaoten“. Die Chaoten säßen in den Regierungen und Unternehmen, die nichts tun, um die drohende Klimakatastrophe abzuwenden.

Aktivismus als Form der Wissenschaftskommunikation

Die Forderung der "Letzten Generation" zur Temporeduktion auf Österreichs Straßen funktioniere auch daher so gut, weil sie einfach und nicht zu technisch ist. Durch das Backup der Forscher am Praterstern habe sich etwas in der öffentlicher Wahrnehmung verändert, glaubt Steurer, der sich seither mit einer Flut an Medien-Anfragen konfrontiert sieht.

Für Steurer und andere Forscher ist Aktivismus auch eine neue Form der Wissenschaftskommunikation. "Die Wissenschaft" halte es schon aus, wenn sich Forscherinnen und Forscher in der Klimafrage noch klarer positionieren. In der Vergangenheit seien auch viele Fehler in der Wissenschaftsvermittlung gemacht worden. Selbst die Zusammenfassungen der IPCC-Berichte seien immer noch "keine leichte Kost", monierte Steurer. Trotzdem habe man über Jahrzehnte "sehr laut gewarnt". Nun sollte die Wissenschaft auch eine politischere Rolle spielen, und zum Beispiel deutlich auf politische Ablenkungsmanöver und Co hinweisen. Er sehe es auch als Aufgabe, Parteien klar zu benennen, die nichts im Klimaschutz tun.

"Wir müssen tatsächlich aufrütteln"

Es sei tatsächlich "Gefahr im Verzug", so die ehemalige Leiterin des IPCC-Sekretariats, Renate Christ. Man sei nicht "alarmistisch", die wissenschaftlichen Erkenntnisse für sich seien nämlich schon extrem alarmierend. Allerdings seien Wissenschafter auch heute noch "nicht gerade die allerbesten Kommunikatoren". Hier brauche es mehr Kommunikationsexperten, die helfen, die Botschaften anzubringen.

Die bringt die Mikrobiologin und Wittgenstein-Preisträgerin 2022, Christa Schleper von der Universität Wien, seit einigen Jahren auch in die universitäre Lehre. Mit einer Ringvorlesung in Kooperation mit der "Fridays for Future"-Bewegung habe sie Grenzen "vorsichtig überschritten". Wie das Klima, sieht auch sie sich mittlerweile an einem "Kipppunkt": "Wir müssen tatsächlich aufrütteln", sagte Schleper. Die gut gemeinten Berichte hätten noch keinen Einfluss auf die CO₂-Emissionen. Aktionen, wie jene am Praterstern könnten zum "Gamechanger" werden. Die Wissenschaft werde in Zukunft auch deutliche Zeichen setzen.

„Das Problem kann man nicht aussitzen"

Handeln "ist Pflicht", es stelle sich aber die Frage nach dem "Wie", so der Psychologe Ivo Ponocny von der Modul University Vienna. Man müsse weiter sachlich, authentisch und glaubhaft agieren, die Probleme wären inzwischen aber "so drängend, dass man hinausgehen" und die "Öffentlichkeit auch aufrütteln" muss: "Das Problem kann man nicht aussitzen."

Den Vorwurf mangelnder Objektivität könne man so nicht stehen lassen: Ohne lebenswerten Planet gebe es auch keine Objektivität der Wissenschaft. Forscher würden ihre Neutralität nicht aufgeben. Man stützt sich auf bestens abgesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse. Es gebe keinen Wertekanon, in dem die Zerstörung des Planeten enthalten ist, betonte Ponocny.

(APA)

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