Mit der Freiheit kommt hoffentlich auch Rücksichtnahme zurück - auf jene, die sich sich weiterhin schützen müssen.
In so viele Gesichter hat man schon lang nicht geschaut. Das liegt am Ende der Maskenpflicht, aber auch daran, dass sich Wien so voll anfühlt wie schon sehr lang nicht mehr. Das und die immer noch teilweise irrwitzig langen Intervalle bei den öffentlichen Verkehrsmitteln führen zu einer Rushhour, die nun den ganzen Tag anhält. Viele Gesichter also in Nahaufnahme in der U-Bahn, man ist gar nicht mehr daran gewöhnt.
Das Ende der Maskenpflicht führt zu einer plötzlichen Umkehr der bisherigen Stimmung: Bisher blickten die ohne Mund-Nasen-Schutz wahlweise trotzig (Kämpfer gegen das System), gelangweilt (mir doch egal, was die durchsagen) oder etwas schuldbewusst (Maske vergessen, hab sie sonst eh immer auf) drein. Anfangs gab es da und dort noch wilde Wortgefechte. Dann griff die Erschöpfung um sich. Manche setzten sich einfach um, wenn ihnen das Umfeld nicht behagte. Da war die U-Bahn aber auch nicht immer so voll.
In diesen ersten Märztagen wirken viele Fahrgäste irgendwie befreit. Von Spannungen ist nicht viel zu spüren. Es wird getratscht, gegessen, telefoniert. Viele Einblicke gewinnt man wieder in das Leben der anderen. Die Maria hat so Schmerzen, das Knie, erzählt eine Frau ihrem Mann. „Die ist schon 80?“, fragt er. „Nein, sie ist gestürzt“, antwortet sie. Sie wirken sehr vertraut.
Ältere Menschen und jene, die nicht so gut beieinander sind, erkennt man nun wieder auf einen Blick: Sie tragen weiterhin Masken. Aber es gibt auch andere, denen man nicht ansieht, ob ihnen etwas fehlt oder ob sie sich einfach schützen wollen. Es wird viel gehustet.
Die meisten Menschen, mit denen man ein Stück des Wegs teilt, haben eine Wahl. Jene, die sie nicht haben, verständigen sich weiterhin über die Augen. Hoffentlich kehrt mit der Freiheit auch die Rücksichtnahme zurück.