Demografie

Immobilienspekulation drückt die Geburtenrate

Die Wohnbedingungen entscheiden in Großbritannien zunehmend über die Bereitschaft junger Paare, Kinder zu bekommen. Wer sich kein Wohneigentum leisten kann, verzichtet als Konsequenz mitunter auf Nachwuchs.

Die katastrophale Lage auf dem Wohnungsmarkt in Großbritanniens urbanen Zentren ist legendär. Brian Buh, Forscher am Wittgenstein Centre, Vienna Institute of Demography der Österreichischen Akademie der Wissenschaft (ÖAW), hat untersucht, ob und wie stark sich die erschwerten Wohnverhältnisse auf die Bereitschaft der Bevölkerung auswirken, Kinder zu bekommen und großzuziehen.
In seiner Untersuchung zog Buh national repräsentative Erhebungen über Kinderwünsche, die Zahl der Kinder, das Verhältnis von Haushaltseinkommen und Wohnkosten sowie die Möglichkeiten, für die Familie stabile Wohnverhältnisse zu schaffen, als Grundlage heran.

Wohnort oft nicht frei wählbar

Nach dem Verlassen des Elternhauses und einer oder mehrerer Übergangswohnungen, die sich weitgehend am Arbeitsplatz orientieren, beginnt die Suche der meisten Paare nach einem dauerhaften Heim. Dieser letzte Schritt der sogenannten Wohnmobilität werde seit 2006 aus strukturellen, ökonomischen und individuellen Gründen erschwert, sagt Buh. Strukturell, weil es generell zu wenig Wohnungen gibt und deshalb keine freie Wahl des Wohnortes besteht. Ökonomisch, weil die Preise für Wohneigentum gestiegen sind, die Kreditbedingungen sich verschlechtert haben und hohe Anzahlungen für den Kauf gefordert werden. Als persönliche Kriterien nimmt die Studie die Partnersituation, Pflegeverpflichtungen, Kostenteilung und die Bindung an das lokale soziale Umfeld an.


Buhs Resümee: Die Entscheidung von Paaren in Großbritannien für ein Kind wird davon bestimmt, ob sie Wohneigentum erwerben können. Besonders gilt das, wenn ein zweites oder drittes Kind in Erwägung gezogen wird. Ein Grund dafür ist, dass die Zahl der nicht erwerbstätigen Frauen ab dem zweiten Kind wächst. Dadurch verringert sich das Familieneinkommen, auch wenn keine Kosten für Kinderbetreuung entstehen.

Instabile Wohnverhältnisse

Mehr als in Österreich, wo 2021 die Mietquote bei 42,9 Prozent und die Eigentumsquote bei 47,9 Prozent lagen, wird in Großbritannien fast ausschließlich Hauseigentum als Kriterium für langfristige Stabilität der Wohnverhältnisse betrachtet. Das habe sich, so Buh, seit 2006 auch deshalb verstärkt, weil das Mietrecht nicht mieterfreundlich ist und das Risiko, eine private Mietwohnung durch Luxusrenovierungen mit anschließenden Mieterhöhungen zu verlieren, hoch ist. Gleichzeitig sind der soziale Wohnungsbau sowie die Realeinkommen in vielen Branchen gesunken.

Die negative Entwicklung auf dem Mietmarkt geht Hand in Hand mit erschwerten Bedingungen für den Wohnungskauf. So sank der Anteil des Wohneigentums unter Paaren im gebärfähigen Alter zwischen 2013 und 2022 auf 69,2 Prozent, während er zwischen 1992 und 1999 noch 78,6 Prozent ausmachte. Der Anteil der privaten Mietverhältnisse stieg von 8,7 Prozent (1992–1999) auf 19,3 Prozent (2013–2022). Der Anteil an Sozialwohnungen sank von 12,7 auf 11,5 Prozent.

Mietwohnung statt Baby

„Wohnimmobilien sind immer stärker zum Investment internationaler Konzerne geworden“, erklärt Buh. „Wenn mit Wohnraum spekuliert wird, wird Wohneigentum für Familien immer weniger leistbar. Da ein Zusammenhang zwischen Wohneigentum und Familienbildung besteht, sinkt die Wahrscheinlichkeit, ein Kind zu haben, weil es keinen langfristig sicheren, geeigneten Wohnraum gibt.“ Der Anteil der Wohnkosten am Familieneinkommen stieg mit der Zahl der privaten Mietverhältnisse. Bei Paaren, die privat Wohnungen mieten müssen, sinkt die Wahrscheinlichkeit, ein weiteres Kind zu haben. Dasselbe gilt für Alleinverdiener-Haushalte.

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