Literatur

Jeder Fisch weiß, was ich schreibe

Thomas Stangl
Thomas Stangl
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Der Band „Diverse Wunder“ von Thomas Stangl versammelt kurze Texte, die große semantische Netze spinnen.

Fabelhaft, mit welchem Selbstverständnis und mit welch einer Präzision sich dieses Buch in Räume der Literatur setzt. Schon der „Prolog“ ist meisterhaft konstruiert in der Reduktion. Das kleine Textstück hebt mit einem unscheinbaren Satz an: „Manchmal wird mir klar, dass das, wovon ich schreiben will, alle anderen schon seit jeher wissen.“ Jeder Baum weiß es, jeder Vogel und jeder Fisch. Auch der See mit seiner unbewegten Oberfläche, die sich in einem schwachen Licht spiegelt, bietet nichts Neues. „In jedem . . . Gedicht oder Roman, in jedem Lächeln und jeder Berührung ist es zu lesen. Niemand hat je etwas anderes gesagt, seit ein paar tausend Jahren, aber ich habe es erst jetzt begriffen oder bin erst jetzt dabei, es zu begreifen. Und muss nichts anderes tun, als den Stoff, den ich vor mir habe, zu reinigen. Alles abzuschaben, was überflüssig ist.“

Wie kommt man, nachdem bereits alles gesagt worden ist, noch einmal ins Sprechen? Das Spätwerk von Samuel Beckett stellt einem, abgeschabt und reduziert, eine solche Schwundstufe des Sprechens vor Augen. Auch die Literatur von Ilse Aichinger nimmt einen Weg zurück zu den Knochengerüsten der Sprache. Als „Knochen der Wahrheit“ betitelt Thomas Stangl eine seiner Geschichten. Und tatsächlich braucht dieser Autor, 1966 in Wien geboren, den Vergleich selbst mit solchen Größen nicht zu scheuen. Je kleiner er sich in seinem Schreiben macht, desto näher ist er ihnen.

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