Gastkommentar

Nordirlands Unionisten blocken weiter

Peter Kufner
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Die neue Nordirland-Regelung geht weiter, als so manche harte Brexiteers wollten. Politischer Fortschritt ist dennoch eher nicht zu erwarten.

London und Brüssel haben sich wieder einmal über eine Regelung für Nordirland geeinigt. Fast sieben Jahre nach dem Brexit geht das neueste Abkommen weiter auf die Wünsche der Hardliner in der European Research Group (ERG), der EU-skeptischen Fraktion der Tories, und der nordirischen Unionistenpartei Democratic Unionist Party (DUP) ein als jedes bisherige Abkommen. Für weite Teile der DUP ist es dennoch nicht genug, denn sie wollen gar keine Lösung haben.

ZUR PERSON

Dr. Dieter Reinisch (* 1986) ist gebürtiger Österreicher, Historiker und forscht zu irischer, britischer Politik und Geschichte an der School of Political Science and Sociology, National University of Ireland, Galway. Zuletzt: „Terror: Eine Geschichte der politischen Gewalt“ (Promedia 2023).

Nach dem Brexit war eine Sonderregelung für die nordirische Provinz notwendig geworden, da sie mit dem EU-Mitglied Irland die einzige Landgrenze der EU mit Großbritannien verbindet. London und Brüssel einigten sich auf das Nordirland-Protokoll: Die Provinz verließ zwar die EU, doch da sie im europäischen Binnenmarkt blieb, wurden Warenkontrollen in der Irischen See notwendig.

Die nordirischen Unionisten liefen dagegen Sturm und organisierten gewaltsame Ausschreitungen, wie etwa im April 2021. Sie sahen die Integrität der Provinz im Vereinigten Königreich bedroht. Die Union sei in Gefahr, da das Abkommen eine „wirtschaftliche Wiedervereinigung Irlands“ herbeiführe. Aus Protest gegen die Regelung verließ die DUP im Februar 2022 die Regionalregierung in Belfast. Selbst die Wahlen im Mai brachten kein Umdenken – ganz im Gegenteil, die Positionen verschärften sich weiter: Die DUP forderte eine gänzliche Abschaffung des Nordirland-Protokolls als Vorbedingung für neue Verhandlungen.

Zur Aufgabe des Nordirland-Protokolls kam es vergangenen Montag. Die Änderungen sind sehr weitgehend und überraschen sogar einige der harten Brexiteers in den konservativen Reihen. Falls dennoch einzelne Tories um Boris Johnson gegen den britischen Premierminister Rishi Sunak rebellieren, werden sie das Gesetz nicht aufhalten können. Keir Starmer und seine Labour Party unterstützen die Vereinbarung und werden Sunak die nötigen Stimmen im Unterhaus bringen.

Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass das neue Abkommen den politischen Stillstand in Nordirland lösen wird – obwohl die DUP auf den ersten Blick erreicht hat, was sie wollte: Das Windsor-Rahmenprogramm wird das ungeliebte Nordirland-Protokoll ablösen. Konkret wird das bedeuten, dass die Warenkontrollen innerhalb der Irischen See weitgehend entfallen werden und der administrative Aufwand für Handel zwischen der irischen Insel und Großbritannien vereinfacht wird.

Die DUP boykottiert seit einem Jahr die Regierungsarbeit im nordirischen Regionalparlament Stormont – vorgeblich aufgrund des Nordirland-Protokolls: „Sich nicht drängen lassen“ will sich die DUP, bevor sie ihre Haltung zum neuen Windsor-Rahmenprogramm bekannt gibt: „Wir werden uns Zeit lassen und besprechen“, betonte der Parteivorsitzende Jeffrey Donaldson am Dienstag, als Sunak in Belfast war, um die Unionisten von seinem neuen Deal mit der EU zu überzeugen.

Gesetzgebung aus der Johnson-Ära ausmisten

Denn der EuGH bleibt für Streitigkeiten über Nordirland zuständig – eine der Hauptbedingungen der EU. Dies stößt ERG und DUP auf. Sunak versucht, ihnen mit dem Stormont-Veto entgegenzukommen: Zukünftige Änderungen des Windsor-Abkommens sollen von Stormont durch ein Veto verhindert werden können. Im Gegenzug gab Sunak die Gesetzgebung aus der Johnson-Ära auf, wonach London einseitig Brexit-Regelungen außer Kraft setzen kann.

In den nächsten Wochen wird die DUP ihre „Partner“ konsultieren, wie es aus Parteikreisen heißt. Einer dieser Partner hat bereits am Donnerstag seine Position abgegeben: Die unionistische Denkfabrik Centre for the Union, zu dessen Mitgliedern der DUP-Abgeordnete Ian Paisley Jr. und der loyalistische Blogger Jamie Bryson gehören, hat „nach rechtlicher Prüfung“ empfohlen, dem Abkommen nicht zuzustimmen. Bryson tritt seit Jahren als Redner bei loyalistischen Protesten auf und soll enge Kontakte zu der paramilitärischen Ulster Volunteer Force unterhalten.

Ein anderer Partner, den die DUP konsultieren wird, ist das Loyalist Community Council, das loyalistische Paramilitärs vertritt. Dieses will verhindern, dass die DUP dem Abkommen zustimmt und nach Stormont zurückkehrt. Loyalistische Organisationen, die die EU als „terroristisch“ einstuft, haben in den kommenden Wochen ein gewichtiges Mitspracherecht, ob das Abkommen zwischen Brüssel und London umgesetzt werden kann!

Im Mai sind Lokalwahlen in Nordirland

Den Zorn dieser loyalistischen Organisationen will die DUP nicht gegen sich aufbringen, denn die loyalistischen Terrororganisationen haben beträchtlichen Einfluss in unionistischen Arbeiterbezirken – laut einer Studie der BBC haben sie 12.000 Mitglieder. Und am 18. Mai 2023 sind Lokalwahlen in Nordirland: Dann braucht die DUP die loyalistischen Stimmen. Davor ist eine Bekanntgabe ihrer Entscheidung in der Brexit-Frage nicht zu erwarten.

Ob die DUP danach dem Windsor-Rahmenprogramm zustimmt, ist ebenso unwahrscheinlich. Was die DUP eigentlich will: die republikanische Partei Sinn Féin (SF) von der Macht fernhalten. Denn würde die DUP dem neuen Abkommen zustimmen, müsste sie auch nach Stormont zurückkehren.

Eine Wiederaufnahme der Arbeit würde bedeuten, dass mit Michelle O'Neill erstmals eine Katholikin nordirische Regierungschefin wird. Denn bei den Wahlen im vergangenen Mai wurde SF erstmals stärkste Partei. Nach den Vorgaben des Karfreitagsabkommens, das 1998 den blutigen Nordirlandkonflikt beenden sollte, steht ihr nun das Amt der Regierungschefin zu.

Eine freie Koalitionswahl ist in Nordirland nicht möglich. Das politische System der nordirischen Konkordanzdemokratie verlangt, dass die stärkste Partei der zweiten Gruppierung (also der Protestanten) mit der stärksten Partei (SF) die Regierung stellt. Um eine Regierungschefin zu wählen, bedarf es eines Parlamentssprechers. Diesen Prozess boykottiert die DUP, indem sie keinen eigenen Kandidaten aufstellt, wie es das Karfreitagsabkommen verlangt.

Katholische Regierungschefin würde Protestanten vergraulen

Denn würde die DUP mit Michelle O'Neill eine katholische Regierungschefin ermöglichen, würde die DUP enorm an Unterstützung unter Protestanten verlieren und die loyalistischen Paramilitärs würden zu gewaltsamen Protesten aufrufen. Auch wenn manche Medien suggerieren, dass die DUP mit dem Abkommen nach Stormont zurückkehrt: Sie muss es nicht. Für die Unionisten ist eine Direktkontrolle durch London langfristig eine akzeptable Option.

Falls sich Sunak nach einer Wahlniederlage bei den Lokalwahlen am 4. Mai noch hält, wird das Windsor-Programm wohl durch das Parlament gehen – den politischen Stillstand in Nordirland wird es nicht beenden. 25 Jahre nach dem Karfreitagsabkommen verwendet die DUP die Regelungen des Friedensabkommens, um Nordirland unregierbar zu machen. Sie wird diese Taktik fortführen, solange sie Sinn Féin damit von der Macht fernhalten kann. Das, und nicht einen weicheren Brexit, ist, was die Unionisten vorrangig wollen.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2023)

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