Krieg in der Ukraine

Front drohe zusammenzubrechen: Wagner-Chef macht Druck auf russische Führung

Jewgeni Prigoschin, Gründer der russischen Wagner-Söldnertruppe, auf einem Video-Screenshot in Paraskowiwka, Ukraine. Das Video wurde am 3. März veröffentlicht.
Jewgeni Prigoschin, Gründer der russischen Wagner-Söldnertruppe, auf einem Video-Screenshot in Paraskowiwka, Ukraine. Das Video wurde am 3. März veröffentlicht.via REUTERS
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Wagner-Chef Prigoschin kritisiert erneut den Munitionsmangel. Laut britischen Geheimdiensten ersetzt Russland wegen Materialmangel zerstörte Fahrzeuge durch jahrzehntealte Modelle. Der russische Verteidigungsminister Schoigu schweigt zu den Vorwürfen.

Der Streit zwischen russischem Militärapparat und dem Chef der Söldner-Gruppe Wagner eskaliert offenbar. Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin erhöhte die Schlagzahl der Vorwürfe gegen die Militärführung zuletzt deutlich. Prigoschin erklärte am Montag auf Telegram, seinem Vertreter sei der Zugang zum russischen Einsatzhauptquartier in der Ukraine
verwehrt worden. Zuvor hatte er erneut den Munitionsmangel kritisiert. Ohne Wagner würde die Front in der Ukraine zusammenbrechen.

Sein Konterpart, der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu, hat nach offiziellen Angaben die ukrainische Hafenstadt Mariupol besucht, die im Frühjahr 2022 bei der Eroberung durch Moskauer Truppen zerstört wurde. Schoigu habe während seiner Inspektionsreise durch den Donbass in Mariupol die Arbeit der Baubrigaden kontrolliert, teilte das Verteidigungsministerium am Montag auf seinem Telegram-Kanal mit.

Auf den Videoaufnahmen ist der 67-jährige Schoigu unter anderem in einem neu gebauten Lazarett und vor dem Gebäude des Zivilschutzes zu sehen. Außerdem habe er sich über die Verlegung einer Wasserleitung von der südrussischen Region Rostow in die Region Donezk berichten lassen, teilte das Ministerium mit. Schoigu leitete vor seiner Amtszeit als Verteidigungsminister 2012 18 Jahre lang den russischen Zivilschutz.

Es ist bereits der zweite Besuch Schoigus innerhalb weniger Tage in der von russischen Truppen teilweise annektierten ukrainischen Region Donezk, nachdem er am Wochenende die Front dort besucht haben soll. Die Bilder sollen wohl die Aktivität und Fürsorge der russischen Führung demonstrieren. Zuletzt mehrte sich Kritik, die Verantwortlichen in Moskau führten den Krieg nur aus ihren Kabinetten und kümmerten sich nicht um die Sorgen der Soldaten und der örtlichen Bevölkerung, die Russland nach eigenem Verständnis befreit hatte.

Sergej Schoigu in Mariupol.
Sergej Schoigu in Mariupol.via REUTERS

Prigoschin greift Militärführung hart an

Mitten im erbitterten Kampf um die ostukrainische Stadt Bachmut erhöht die dort eingesetzte Söldner-Gruppe Wagner unterdessen den Druck auf die Regierung in Moskau. Wenn Wagner-Truppen nicht bald die im Februar versprochene Munition geliefert bekämen und sich deshalb zurückziehen müssten, drohe die gesamte Front zusammenzubrechen, erklärte Wagner-Chef Prigoschin auf Telegram. Mit Blick auf ausbleibende Munitionslieferungen fügte er hinzu: "Im Moment versuchen wir herauszufinden, was der Grund dafür ist: Ist es nur gewöhnliche Bürokratie oder ein Verrat."

Prigoschin hatte bereits in den vergangenen Wochen scharf kritisiert, dass seine weitgehend autonom agierenden Truppen von Russland nicht mit ausreichend Munition beliefert würden. Am Wochenende erklärte er, seine Truppen befürchteten, die Regierung in Moskau wolle sie zum Sündenbock machen, sollte Russland den Krieg verlieren. Vor knapp zwei Wochen hatte Prigoschin Verteidigungsminister Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow Hochverrat vorgeworfen, weil sie absichtlich den Wagner-Einheiten keine Munition zukommen ließen und ihnen auch beim Lufttransport Hilfe verweigerten.

Nicht nur Prigoschin, sondern auch Kommentatoren und Kriegsverfechter in Russland haben Verteidigungsminister Schoigu für den Verlauf des Krieges kritisiert, der nicht den raschen Sieg, dafür aber mehrere herbe Rückschläge brachte. Bisher hat Schoigu selten die russischen Truppen in der Ukraine besucht.

Fahrzeuge aus dem Jahr 1954

Laut britischen Geheimdiensten ersetzt Russland wegen Materialmangel zerstörte Fahrzeuge durch jahrzehntealte Modelle. Zuletzt seien sogar Transportpanzer des sowjetischen Typs BTR-50 in der Ukraine eingesetzt worden, die seit 1954 hergestellt wurden, teilte das Verteidigungsministerium in London am Montag unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse mit. Zerstörte Kampfpanzer würden bereits seit Monaten durch alte Modelle des Typs T-62 ersetzt. Selbst die 1. Gardepanzerarmee, eine der prestigeträchtigsten Einheiten, habe solche Panzer erhalten, um ihre Verluste an modernen Panzern auszugleichen. "Seit Sommer 2022 wurden etwa 800 T-62 aus den Lagern geholt", hieß es in London weiter. "Einige haben verbesserte Visiersysteme erhalten, die ihre Wirksamkeit bei Nacht höchstwahrscheinlich verbessern." Allerdings hätten die Fahrzeuge viele Schwachstellen, so fehle eine moderne Reaktivpanzerung.

Derzeit wird in der Ukraine besonders heftig um Bachmut gekämpft. Laut Militärbeobachtern könnte Kiew einen Teil seiner Streitkräfte aus der seit Monaten umkämpften Stadt abziehen. "Die ukrainischen Kräfte könnten sich, angesichts der durch Bilder mit Geolocation bestätigten Zerstörung der Eisenbahnbrücke über den Fluss im Nordosten von Bachmut am 3. März, von ihren Positionen am Ostufer des Bachmutka-Flusses zurückziehen", schrieb das in den USA ansässige Institut für Kriegsstudien (ISW). Russischen Militärbloggern zufolge nahm die dort kämpfende Söldnertruppe Wagner inzwischen Teile im Osten, Süden und Norden Bachmuts ein.

Eine offizielle Bestätigung für den Abzug gab es vom ukrainischen Militär bisher nicht. Auf den Lagekarten sind die Gebiete östlich des Bachmutka-Flusses allerdings inzwischen als russisch oder sogenannte Grauzone eingezeichnet. Der ukrainische Generalstab berichtete Montagfrüh in seinem Lagebericht über anhaltende Kämpfe in dem Raum. Beschossen worden seien sowohl die Stadt selbst als auch etliche Vororte von russischer Seite. Am Sonntag seien 95 Angriffe in der Region Bachmut abgewehrt worden, teilte das Militär mit. Zugleich wurden aber auch Vorstöße der russischen Truppen nördlich von Bachmut eingeräumt. Wolodymyr Nasarenko, ein ukrainischer Kommandant in Bachmut, erklärte auf Telegram, die Verteidigung halte, auch wenn die Lage kritisch sei. "Die Situation in Bachmut und Umgebung ist ziemlich die Hölle, wie auf der ganzen Ostfront." Aber es habe keinen Befehl zum Rückzug gegeben.

Russland hofft in Bachmut auf Prestigeerfolg

Für Russland wäre die Einnahme der Stadt der erste Triumph in einer nach Mobilmachung Hunderttausender Reservisten gefürchteten Winter-Offensive. Bachmut gilt der Regierung in Moskau als strategisch wichtig für die vollständige Eroberung des Donbass - einem der wichtigsten Ziele Russlands in dem vor gut einem Jahr begonnenen Krieg.

Unterdessen erklärte das ukrainische Militär, dass Kommandanten von Russlands 155. Brigade, die bei der Stadt Wuhledar südlich von Bachmut im Einsatz sind, Befehle verweigerten. Laut der Ukraine hat Russland dort zuletzt schwere Verluste erlitten. Hochrangige Offiziere weigerten sich nun, Anordnungen von ungeschulten Befehlshabern zu befolgen, "nämlich gut verteidigte ukrainische Stellungen ohne jeglichen Schutz oder Vorbereitung zu stürmen". Die Darstellung konnte - ebenso wie Berichte über das Kampfgeschehen - zunächst nicht unabhängig überprüft werden.

(APA/dpa/Reuters)

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