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Christdemokraten suchen Partner – und sich selbst

(c) Peter Kufner
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EVP-Weber macht Meloni Avancen. Das Dilemma der Konservativen in ganz Europa: Strenge Abgrenzung zur Rechten oder Kooperation?

DER AUTOR

Hans Winkler war langjähriger
Leiter der Wiener Redaktion der
„Kleinen Zeitung“.

Von „Geheimgesprächen“, wie jemand behauptet hat, kann keine Rede sein. Eine der Unterredungen, die Manfred Weber, der Chef der Europäischen Volkspartei EVP, in der die christdemokratischen Parteien vereinigt sind, anscheinend öfters mit der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni führt, fand bei einem Anlass statt, der öffentlicher nicht hätte sein können: Unmittelbar nach dem Begräbnis von Papst Benedikt XVI. am 5. Jänner fuhr Weber in den Palazzo Chigi, den Sitz des italienischen Regierungschefs. Meloni ließ von der Begegnung schöne Fotos verbreiten, damit auch alle davon erfuhren.

Auch die Themen der Gespräche können nicht sehr geheim sein. Es geht um Migration, den Krieg in der Ukraine, die Stellung Italiens in der EU. Aber das sind unterdessen Alltäglichkeiten europäischer Politik. In Wirklichkeit hat zumindest Weber eine längerfristige Perspektive. Er möchte auskundschaften, ob es Chancen auf eine Zusammenarbeit der christdemokratischen EVP mit den – in der üblichen Diktion – rechten bis faschistischen Fratelli d'Italia der Ministerpräsidentin gibt. Die erste Gelegenheit dazu wären die Europa-Wahlen im nächsten Jahr und die voraussichtlich schwierigen Koalitionsbildungen danach. Die Chance darauf muss ihm auch deshalb günstig erscheinen, da die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer Auflösungserscheinungen zeigt. Diese Parteienfamilie wird momentan von Meloni angeführt.

Weber ist bekanntlich ambitioniert. Bei der EU-Wahl vor vier Jahren ist er für seine Parteienfamilie als Spitzenkandidat angetreten. Bei der Bestellung des Kommissionspräsidenten ist er dann aber Ursula von der Leyen unterlegen. Sein Ehrgeiz macht ihn, den CSU-Politiker aus Bayern, nicht überall in seiner Partei und der europäischen Parteienfamilie beliebt. Die Gespräche mit Meloni kann er aber nicht ohne Rückendeckung durch andere maßgebliche EVP-Politiker führen.

EU-Wahl 2024 entscheidend

Die Europawahl im nächsten Jahr wird für die Europäische Volkspartei und ihr weiteres Schicksal entscheidend sein. Weber versucht jetzt schon vorzubauen. Die EVP kann nicht mehr sicher damit rechnen, dass die jahrelange Koalition mit den Sozialdemokraten wieder eine Mehrheit bekommt. Dazu kommt, dass sie nach dem Ausschluss Ungarns aus der Fraktion auch mancher eigener Mitglieder nicht so sicher sein kann. Sie sucht daher neue Partner in dem unübersichtlichen rechten Parteienfeld im EU-Parlament.

Wie kompliziert die Gemengelage ist, kann eine Episode aus dem italienischen Wahlkampf im September erhellen: Weber trat bei einer Wahlveranstaltung der Forza Italia von Silvio Berlusconi auf. Daran wäre nichts Besonderes, denn die FI ist Mitglied der EVP. Der Auftritt wurde jedoch als indirekte Wahlhilfe für Meloni interpretiert, die in einem Wahlbündnis mit der FI stand und jetzt mit FI und der Lega von Matteo Salvini eine Koalition bildet. Kritik daran gab es von allen Seiten, denn die Fratelli gelten der EVP noch als Unberührbare.

Der andere Faschismus Italiens

Wer sind die Fratelli d'Italia? Die Frage muss sich nicht nur die EVP beantworten. Die übliche Definition lautet: Als Nachfolger des neofaschistischen Movimento Sociale Italiano (und dieses wieder in Tradition des italienischen Faschismus) sind sie eine faschistische, jedenfalls aber extrem rechte Partei. Wenn diese Partei im europäischen Umfeld respektiert werden wolle, müsse sie sich von ihrem Erbe, namentlich also von der Person Mussolinis, distanzieren, verlangt etwa der deutsche CDU-Europaabgeordnete Michael Gahler. Sein Parteikollege Gunther Krichbaum, einflussreicher europapolitischer Sprecher im Deutschen Bundestag, sieht das anders: Faschismus bedeute in Italien etwas anderes als im deutschen politischen Sprachgebrauch, sagte er kürzlich in Wien. Während in Deutschland der Begriff mit Antisemitismus und Rassismus in Verbindung gebracht werde, sei er in Italien „nicht so schlimm“. Krichbaum hält es auch nicht für ausgeschlossen, dass man in der jüdischen Gemeinde in Rom die Fratelli gewählt habe.

Jedenfalls, so Krichbaum, stünden die Fratelli von Seiten der EVP „unter Beobachtung“. Bisher erfüllen sie jedenfalls den Kriterienkatalog, den Weber für die Mitgliedschaft bei der EVP aufgestellt hat: klares Bekenntnis zu Europa und zur transatlantischen Achse; Unterstützung der Ukraine; Verurteilung von Antisemitismus. Das alles sei kein Problem bei den Fratelli.

Es ist paradox, dass der EVP ein eigenes Mitglied viel „größeres Kopfzerbrechen“ (Krichbaum) bereitet als die Fratelli, nämlich die Forza Italia. Auch der österreichische EU-Abgeordnete Lukas Mandl (ÖVP) sieht das so. Formal gilt die FI als Nachfolgerin der in den Wirren der Neunzigerjahre untergegangenen DC, deren Publikum sich aber längst verlaufen hat und in sämtlichen Parteien untergekommen ist, einschließlich den Sozialdemokraten. Da die FI bei acht Prozent der Stimmen angelangt ist, gehen der EVP die italienischen Abgeordneten ab. Ebenso schlimm für die EVP ist, dass Berlusconi mit seinem offenen Eintreten für Putin und dessen Behauptung, der Krieg sei vom Westen und der Ukraine angezettelt worden, aus der europäischen Allianz ausschert. Aber für die stabile Position der römischen Regierung in dieser Frage sorgt ohnehin Meloni.

Für die EVP als Ganze und für die einzelnen christlich-demokratischen Parteien in Europa (die EVP hat über achtzig Mitglieder) stellt sich immer drängender die Frage, wie sie mit Parteien der Rechten umgehen soll: strikte Abgrenzung oder Kooperation bis hin zu Koalitionen. Zunehmend teilen sie ihr Publikum, das je nach Wahl einmal die jeweilige bürgerliche Partei und dann wieder eine rechte Partei wählt. Das lässt sich beispielsweise in der kleinen Oststeiermark beobachten. Die EVP und ihre Mitglieder, die sich – cum grano salis – als Parteien der bürgerlichen Mitte verstehen, müssen mitansehen, wie diese Mitte zunehmend erodiert und die Ränder stärker werden.

In Schweden haben die der EVP angehörenden Moderaten ihren Kurs der strikten Distanz von den rechten Schwedendemokraten spektakulär aufgegeben. Die von ihnen geführte Regierung lässt sich im Parlament von den rechtspopulistischen Schwedendemokraten unterstützen. In Fragen wie dem Festhalten am Atomstrom und einer strengeren Einwanderungspolitik ist man sich einig.

Demarkationslinie in der ÖVP

In der ÖVP verläuft eine „Demarkationslinie“ zwischen Türkis und Schwarz, wie ein Meinungsforscher einmal sagte. Die beiden Seiten decken sich weitgehend mit denen, die eine Koalition mit der FPÖ ablehnen, und solchen, die das langfristig für die einzige Machtperspektive halten.

Letztere haben auch ein empirisches Argument für sich: Jedesmal, wenn die ÖVP mit der FPÖ regiert hat (unter Wolfgang Schüssel und später unter Sebastian Kurz), hat die FPÖ starke Verluste bei Wahlen erlitten.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2023)

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