Unabhängig?

"Ärgerliche Schönrederei": Kritik an Beschwerdestelle bei Polizeigewalt hält an

APA/TOBIAS STEINMAURER
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Besonders die Unabhängigkeit der geplanten Ermittlungsstelle wird von diversen Seiten in Frage gestellt. Es komme jetzt vor allem auf die Besetzung der Posten in der Dienststelle an.

Die Kritik an der von der ÖVP und den Grünen geplanten neuen Ermittlungs- und Beschwerdestelle (EBS) bei Fällen von Polizeigewalt reißt nicht ab. Selbst frühere Spitzenvertreter der Grünen teilen nicht die Ansicht von Justizministerin Alma Zadić (Grüne), die in der EBS einen "echten Paradigmenwechsel" sieht. Die Stelle soll beim Bundesamt für Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK) und somit im Innenministerium angesiedelt werden.

"Eine Beschwerdestelle für Polizeigewalt kann nicht im Innenministerium angesiedelt sein. Es war eine unabhängige (!) Ermittlungsstelle im Koalitionsabkommen vereinbart. Alles andere ist ärgerliche Schönrederei", meint dazu Birgit Hebein. Bis Anfang 2021 war sie Vorsitzende der Wiener Grünen. Die vorgebliche Unabhängigkeit der EBS bezweifelt auch der Wiener Rechtsanwalt Clemens Lahner, der immer wieder von Polizeigewalt Betroffene vor Gerichten und Verwaltungsbehörden vertritt: "Ob die Beschwerdestelle tatsächlich unabhängig arbeiten kann, wird sich zeigen. Solange sie aber beim Innenministerium angesiedelt ist, dem auch die Polizei untersteht, bleibt der Eindruck, dass noch immer die Polizei untersucht, ob die Polizei korrekt arbeitet."

„Dann kann man es gleich bleiben lassen"

Wesentlich sei die Besetzung der Posten in der Beschwerdestelle, betont Lahner: "Wenn man diese Aufgabe Menschen überträgt, die fachlich qualifiziert sind und ihre Unabhängigkeit unter Beweis gestellt haben, dann besteht Hoffnung. Wenn aber wie so oft nach Parteibuch oder Kabinettszugehörigkeit besetzt wird, dann kann man es gleich bleiben lassen." Dass die Beschwerdestelle polizeiliche Befugnisse haben soll, findet Lahner "gut und richtig", wie er betont. Sie wäre aber aus seiner Sicht nicht notwendigerweise im Innenministerium anzusiedeln gewesen, sondern hätte auch dem Justizministerium unterstellt werden können: "Dazu hätte es eine Zweidrittelmehrheit im Parlament gebraucht. Dass man die nicht zustande bringt oder es nicht einmal versucht, ist bedauerlich."

"Die Implementierung einer derartigen Untersuchungsstelle ist jedenfalls zu befürworten, auch wenn es für solche Einrichtungen nicht das eine globale Referenzmodell gibt", meint Martin Kreutner. Bis 2010 war er Leiter des Büros für Interne Angelegenheiten (BIA), der Vorgänger-Behörde des BAK, und danach acht Jahre lang Geschäftsführer der International Anti-Corruption Acadamy (IACA).

Stelle muss Unabhängigkeit beweisen

"Sinnvollerweise kann und soll eine solche Dienststelle auch nicht ohne polizeiliche Ermittlungs- und Eingriffsmöglichkeiten, Kenntnis der polizeilichen Strukturen sowie einer engen, direkten Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft auskommen", erklärt Kreutner. In den letzten zwei, drei Jahrzehnten sei bei der österreichischen Polizei in Bezug auf Menschenrechte - auch im Vergleich mit anderen Staaten - sehr viel Positives passiert: "Die nötige angestrebte und angekündigte Unabhängigkeit dieser neuen Dienststelle wird sie aber auch hier dann leben und beweisen müssen."

Spannend bleibe auch, "welche 'gestandene' Persönlichkeit sich in den vorgesehenen, strukturellen Korsetten für die Leitung finden wird und insbesondere auch, wie man in der Personalrekrutierung dieses wichtige Arbeitsfeld attraktiviert", ergänzt der Experte. In Summe sieht Kreutner in der Einrichtung der EBS einen "wichtigen Schritt, aber erst den Beginn einer unter Umständen steinigen Reise".

Neos stellen parlamentarische Anfrage zu BAK

"Nachdem Opfer von Polizeigewalt jetzt viele Jahre auf so eine Beschwerdestelle gewartet haben und nicht zu ihrem Recht gekommen sind, soll es das jetzt sein?", fragt sich Stephanie Krisper, Neos-Sprecherin für Inneres. Eine unabhängige Beschwerdestelle gegen Polizeigewalt müsse "naturgemäß außerhalb des Einflusses der Polizei und damit außerhalb des Innenministeriums liegen.

„Die Beteuerungen der Grünen, dass Weisungen ohnehin schriftlich erfolgen müssten, sind Augenauswischerei - jeder weiß, dass Interventionen so gut wie nie schriftlich erfolgen", meint Krisper. Darüber hinaus wollen die Neos mit einer parlamentarischen Anfrage geklärt wissen, "wie das BAK derzeit personell aufgestellt ist, warum dort die Postenkorruption auf einmal beendet sein soll und wie dort die Planungen für eine solche Beschwerdestelle laufen", wie Krisper darlegte.

Amnesty: Stelle „muss außerhalb des Innenministeriums sein"

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International bekräftigt ihre Kritik an der Eingliederung der EBS ins BAK. "Die Unabhängigkeit einer solchen Stelle ist zentral für die Frage, wie wirksam sie wirklich arbeiten und Gewaltvorwürfe untersuchen kann. Daher darf sie etwa in keinerlei hierarchischer oder institutioneller Verbindung zur Polizei selbst stehen. Mit anderen Worten: sie muss unbedingt außerhalb des Innenministeriums angesiedelt sein und nicht der Weisungsbefugnis des Innenministers unterliegen", erläutert Teresa Exenberger von Amnesty International Österreich.

Kritisch sieht Amnesty International, dass manche Polizeibedienstete nicht in die Kompetenz der Ermittlungsstelle fallen. Die in vielen Gemeinden etablierten Gemeindesicherheitswachen bzw. Gemeindewachkörper sind im Gesetzesentwurf nämlich ausgenommen. "Bei allen diesen geht es um staatliche Bedienstete mit der Befugnis, Zwangsgewalt auszuüben, und eine wirksame Untersuchung von Misshandlungsvorwürfen gegen sie wäre genauso völkerrechtlich geboten", merkt dazu Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Anmesty International Österreich, an.

Auch Vorwürfe gegen Justizwache und Bundesheer einbeziehen

"Es wäre auch sinnvoll gewesen, nicht nur Vorwürfe gegen die Polizei, sondern auch gegen die Justizwache, das Bundesheer etc. mit einzubeziehen", pflichtet Lahner bei. Ganz allgemein gelte: "Überall dort, wo der Staat Befehls- und Zwangsgewalt anwendet, sollte eine unabhängige Untersuchung Standard sein." Denn "unabhängige, rasche und gründliche Untersuchungen dienen nicht nur den Betroffenen und der Allgemeinheit, sondern auch allen Beamten und Beamtinnen, die anständige Arbeit leisten", unterstreicht der Wiener Rechtsanwalt.

Lahner machte noch auf einen wichtigen Punkt aufmerksam, nämlich die Transparenz und die Parteienstellung der Betroffenen. Die EBS soll nicht nur Fälle untersuchen, die strafrechtliche Tatbestände umfassen, sondern auch minderschweres polizeiliches Fehlverhalten prüfen, das noch nicht unters Strafrecht fällt. "Wenn die Vorwürfe strafrechtlicher Natur sind, etwa bei Körperverletzung, Amtsmissbrauch, dann gilt ohnehin die Strafprozessordnung (StPO) und damit auch das Recht auf Akteneinsicht etc. Wenn aber Grundrechtseingriffe unterhalb der strafrechtlichen Grenze behauptet werden und somit das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) gelten soll, wird es notwendig sein, darauf zu achten, dass Betroffene Parteienrechte haben und nicht nur wie Objekte behandelt werden", stellte Lahner fest.

(APA)

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