Gefahr durch Islamischen Staat

Nordsyriens Selbstverwaltung warnt vor Angriff der Terrormiliz IS auf Gefangenen-Camp

In Nordsyriens al-Hol-Camp werden Zehntausende IS-Angehörige bewacht.
In Nordsyriens al-Hol-Camp werden Zehntausende IS-Angehörige bewacht.APA/AFP/DELIL SOULEIMAN
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Der Grüne Klub lud Vertreter von Nordsyriens Selbstverwaltung zur Konferenz „Rojava - Quo Vadis?“ ins Parlament in Wien. Der Außenbeauftragte der Selbstverwaltung fordert mehr internationale Hilfe und ein Tribunal für IS-Kämpfer.

Es ist eine alarmierende Nachricht - auch für Europa: Die Terrorzellen des sogenannten Islamischen Staates (IS) verstärken in Syrien ihre Aktivitäten - offenbar mit dem Ziel, ihr „Kalifat“ neu zu errichten. Das berichtet Omar Abdelkarim, der Beauftragte für äußere Angelegenheiten der Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens, die Kurden gemeinsam mit Arabern und anderen Gruppen errichtet haben. Diplomatisch anerkannt wird die Selbstverwaltung von Österreich nicht. Doch nun wurden einige ihrer Vertreter zur Konferenz „Rojava – Quo Vadis? Perspektiven für Frieden und Stabilität in den autonomen Gebieten Nord- und Ostsyriens“ im Parlament in Wien eingeladen. Organisiert wurde die Konferenz am Dienstag vom Grünen Parlamentsklub. An der Panel-Diskussion nahmen unter anderem Vertreter von Grünen, Neos und SPÖ teil.

„Diese Mine kann jederzeit explodieren"

„In unseren Gefängnissen befinden sich 12.000 ehemalige IS-Kämpfer aus 55 Staaten – und 60.000 IS-Familienangehörige in Lagern wie dem al-Hol-Camp“, berichtet Omar Abdelkarim. Das sei eine „Mine, die jederzeit explodieren kann“. Vor einem Jahr wollte der IS in einer Offensive mehrere Tausend seiner hochrangigen Kämpfer aus dem Gefängnis der Stadt al-Hasakah befreien. Der Plan der Jihadisten sei gewesen, dann zusammen mit den befreiten Kämpfern auch zum al-Hol-Camp zu marschieren, um es zu übernehmen, schildert Omar Abdelkarim. Alles mit dem Ziel, erneut ein Territorium in Nordsyrien unter Kontrolle zu bekommen.

Damals konnten die Truppen der Selbstverwaltung die Attacke mit internationaler Hilfe abwehren. Die „Presse“ war später in der Region, um über die Lage nach der IS-Offensive zu berichten.

„Die Presse“ führte auch damals ein Interview mit einem gefangenen, höherrangigen IS-Kämpfer aus Deutschland.

Der Außenbeauftragte der Selbstverwaltung fürchtet neue Offensiven der IS-Jihadisten. „Wir haben Informationen, dass der IS erneut einen Angriff plant, diesmal auf das al-Hol-Camp“, warnt Abdelkarim. Er ruft den Westen dazu auf, die Truppen der Selbstverwaltung weiterhin im Kampf gegen den „Islamischen Staat" zu unterstützen. Im al-Hol-Camp wohnen Zehntausende Frauen und Kinder, die zuvor im „Kalifat“ gelebt hatten. Die Selbstverwaltung bewacht das Lager und versorgt die Insassen. Was in den Zelt-Labyrinthen von al-Hol vor sich geht, haben die Sicherheitskräfte der Selbstverwaltung aber nur teilweise unter Kontrolle.

Omar Abdelkarim war zu Gast im Parlament in Wien.
Omar Abdelkarim war zu Gast im Parlament in Wien.APA/CHRISTOPHER GLANZL

Omar Abdelkarim fordert internationales Tribunal

Die Kinder im Camp würden nach wie vor von IS-Extremisten ideologisiert, warnt Omar Abdelkarim. Er verlangt internationale Hilfe, um das Lager neu organisieren zu können. Die Selbstverwaltung wolle die Insassen auf sieben Camps aufteilen und die Deradikalisierung der Kinder intensivieren. Abdelkarim bekräftigt zudem die Forderung, die internationale Gemeinschaft solle beim Aufbau eines Tribunals für Nordsyrien helfen, um IS-Kämpfer vor Gericht zu stellen. Daran sollten sich vor allem Länder beteiligen, von denen Staatsbürger in Nordsyrien als IS-Mitglieder festgehalten werden – also auch Österreich. Derzeit befinden sich nachweislich mindestens zwei Österreicherinnen, die sich dem IS angeschlossen hatten, in Gefangenencamps in Nordsyrien. Beide wollen zurück nach Österreich. Das Außenamt in Wien legte sich bisher quer. Es ging zuletzt von einem Dutzend österreichischer Staatsbürger in Nordostsyrien aus, die Hälfte davon Kinder.

Ewa Ernst-Dziedzic: „Europa schaut weg"

Die Gefahr einer Reaktivierung des IS sei evident, sagt auch die Außenpolitiksprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic. „Aber Europa schaut weg.“ Zudem könnte der türkische Präsident Recep Tayypip Erdogan vor den Wahlen in der Türkei am 14. Mai die Angriffe auf das Gebiet der nordsyrischen Selbstverwaltung verstärken. "Wir sollten die Bevölkerung in Rojava unterstützen, weil sie ein Garant für Stabilität in der Region sind", sagt Ernst-Dziedzic.

Schmidinger warnt vor Drohnen-Bedrohung

Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger warnt davor, dass angesichts der wirtschaftlichen Probleme  und der permanenten Bedrohung durch türkische Drohnenangriffe erneut viele Menschen aus der Region fliehen könnten. "Wenn man von Hilfe vor Ort spricht als Alternative zu Massenbewegungen, müsste man jetzt dazu beitragen, diese Region zu stabilisieren", sagt Thomas Schmidinger.

Auch Roksan Muhamed, die Sprecherin der Frauenverteidigungseinheiten (YPJ), berichtet von ständigen türkischen Angriffen in der Region. Gemeinsam mit den Volksverteidigungseinheiten (YPG) bilden die YPJ das Rückgrat der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) - des Militärs der Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien. Die Türkei bezeichnet diese, vor allem aus kurdischen Kämpfern bestehenden Kräfte und auch die politischen Vertreter der Selbstverwaltung als „Terroristen“.

YPJ: „Sind bereit, unsere Gebiete zu schützen"

Bereits mehrmals haben türkische Truppen gemeinsam mit verbündeten syrischen Rebellenmilizen Großoffensiven gegen das Gebiet der Selbstverwaltung in Nordsyrien durchgeführt. Und türkische Kampfdrohnen starten immer wieder Angriffe. Roksan Muhamed kritisiert, dass Ankara diese Attacken auch trotz der jüngsten Bebenkatastrophe fortführe. Und sie warnt ebenfalls vor den verstärkten Aktivitäten des IS. „Aber wir sind bereit, unsere Gebiete zu schützen."

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