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#Boldglamour: Ein Filter zum Hässlichfühlen

In etwa so, also wie Khloe Kardashian am Roten Teppich, sieht man mit dem neuen TikTok-Filter aus.
In etwa so, also wie Khloe Kardashian am Roten Teppich, sieht man mit dem neuen TikTok-Filter aus.(c) IMAGO/Cover-Images
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Ein neuer „Schönheitsfilter“ bewegt das Netz. Er wirkt realer als herkömmliche Schablonen. Was Machine Learning damit zu tun hat.

Filter gibt es auf Social Media im Übermaß. Viele sollen einen vermeintlich schöner machen, durch vollere Lippen, glattere Haut, schmalere Nase und virtuell aufgetragenes Make-up. So auch „Bold Glamour“, ein TikTok-Filter der Nutzende im Handumdrehen zu einer Kardashian und aktuell im großen Stil die Runde macht. 16,3 Millionen Mal wurde er bereits benutzt, der dazu passende Hashtag zählt knappe 392 Millionen Aufrufe. Grund für die große Aufmerksamkeit (und Aufregung): Der Filter sieht täuschend echt aus, bleibt trotz starker Veränderung der Gesichtsmerkmale subtil, bis auf den Hinweis-Button im Video quasi unbemerkt (vorausgesetzt man kennt das Gesicht nicht, dass einem da vom Bildschirm entgegenglotzt).

Form der Augenbrauen und einzelner Gesichtszüge werden verändert, ebenso die Augenfarbe. Dabei liegt der Filter nicht wie eine Schablone auf dem Gesicht, die durch Bewegungen gestört wird. Er bewegt sich viel mehr mit, wird selbst durch einen Griff ins Gesicht nicht behindert. Man geht deshalb davon aus, dass der Filter AI-generiert ist, also von künstlicher Intelligenz. Expertinnen und Experten vermuten dahinter eine Art maschinelles Lernen namens GAN (Generative Adversarial Networks). In Echtzeit wird dabei jeder Pixel des Gesichts ständig analysiert, neu berechnet und (vermeintlich schöner) ausgespuckt. Jedes Gesicht wird demnach auch etwas anders verändert. Auf TikTok selbst gibt es bereits Material, das die Technik hinter dem Filter erklärt. 

Schöner im Netz, trauriger als Mensch

In Videos raten zudem zahlreiche Frauen davon ab, den Filter zu verwenden. Man würde ein unerreichbares Schönheitsideal nicht nur aufrechterhalten, sondern gar intensivieren. „Wenn ihr euch dann ohne den Filter sieht, findet ihr euch relativ hässlich“, sagt etwa TikTokerin @einfachsonina. Das beteuern auch andere Nutzerinnen. Bizarr, dass in etwa zeitgleich zum Filter eine US-amerikanische Studie erschien, die den Zusammenhang zwischen Social-Media-Nutzung und Körperwahrnehmung bei Teenagern aufzeigt. Eine Reduktion von Ersterem führt demnach zu einer Verbesserung von Letzterem. Ein Fazit zu dem schon vorangegangene Studien kamen. Um 70 Prozent sind die Zahlen für Depressionen und Angstzustände unter jungen Menschen im letzten Vierteljahrhundert gestiegen, so das Ergebnis einer britischen Studie aus dem Jahr 2017.

Ähnlich wie „Bold Glamour“ funktioniert übrigens der Filter „Teenage Look“. Statt aufwendig geschminkt, erscheint das Gesicht schlichtweg jünger, jugendlich eben. „Körperwahrnehmungsstörungen und Minderwertigkeitskomplexe durch Social Media sind also in Zukunft nicht nur Teenagern vorbehalten“, schreibt etwa Michael Moorstedt in seiner Netzkolumne der „Süddeutschen Zeitung“. Im Übrigen zeichnet auch TikTok selbst die Haut automatisch einen Tick weicher, die Lippen einen Hauch rosiger. Selbst ohne die Auswahl eines bestimmten Filters. Die neuen Auswüchse der Filtertechnologie nennt Memo Akten, Professor für Computational Design an der University of California „psychologische Kriegsführung und das pure Böse“. Auf Twitter schreibt er: „,Schönheitsfilter' sind nicht neu, aber die Präzision, mit der dies geschieht, ist mehr als unheimlich.“ 

Erste rechtliche Regulierungen für den Einsatz von Filtern gibt es schon. In Großbritannien etwa wurde 2021 eine Kennzeichnungspflicht für verwendete Filter eingeführt, die Influencerinnen und Content Creator miteinschließt. Ob ein einzelner Hinweis-Button (wie das auf TikTok ohnehin der Fall ist), viel bewirken kann, ist allerdings fraglich. 

(evdin)

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