Kolumne zum Tag

Kann man bei der Individualität auch übertreiben?

Individualisierte Geschichten - oder klassische Bücher?
Individualisierte Geschichten - oder klassische Bücher? (c) Die Presse/Clemens Fabry (Clemens Fabry)
  • Drucken

Wenn Kinder zu den Hauptfiguren in ihren Gute-Nacht-Geschichten gemacht werden.

Ihr übertreibt es aber ein bisserl mit der Demokratie.“ Das sagte ein Lehrer, als wir (bei der Organisation des Maturaballs, es ist eine Weile her) darüber abstimmen wollten, ob wir über eine Sache abstimmen sollen. Jede Generation hat ihre Schwerpunkte, bei uns war es wohl die Frage, wer entscheidet.

Heute geht es oft um Individualität. Ich mag ausgeprägte Persönlichkeiten, wirklich. Originalität. Immer her mit den kauzigen Typen! Aber gibt es da nicht ein Missverständnis? Es lautet: Individualität geht darauf zurück, dass jede(r) immer und überall auf eine spezielle Weise behandelt wird. Individuell nämlich. Und dabei die anderen ruhig auch ausgeblendet werden können. (Was man nicht laut dazusagt.)

Eine Volksschullehrerin berichtete unlängst, dass es zunehmend schwierig sei, alle Kinder einer Klasse dazu zu bringen, dasselbe zu tun. Wenn man rufe, dass bitte alle Kleber und Schere herausholen sollen, würde das die Mehrheit machen. Aber fünf oder sechs brauchten eine Extraeinladung. Denen müsse man erklären, dass sie dazugehören, wenn das Wort „alle“ fällt. Immer wieder und weit über die erste Klasse hinaus.
Das fiel mir ein, als diese Woche die Aussendung eines Wiener Start-ups in meinem Postfach landete. Es ging um die Schwierigkeit, Kinder ins Bett zu bringen. Um eine App, die Gute-Nacht-Geschichten kreiert. Inspiriert worden sei sie von Oscar, einem kleinen Buben, der mit seinen Büchern nicht zufrieden war: Er wollte in Geschichten lieber etwas über seine Freunde hören – und sich selbst. Das ist der Gedanke hinter der App, die „individualisierte Kindergeschichten“ generiert und kleine Zuhörer zu Hauptfiguren machen kann. Was wurde aus der Idee, dass uns Bücher Welten jenseits der eigenen erschließen? Vielleicht wird sie hier doch ein bisserl übertrieben, die Sache mit der Individualität.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.