"Österreich 2030"

Nehammer: "Die einen arbeiten fürs Geld, die anderen bekommen es"

Kanzler Nehammer bei seiner Rede zur Zukunft der Nation am Wienerberg.
Kanzler Nehammer bei seiner Rede zur Zukunft der Nation am Wienerberg.(c) APA
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Bessere Bildung, gerechtere Arbeit, „geistige“ Wehrhaftigkeit: Der Kanzler skizziert seine Visionen für Österreichs Zukunft. Beim Gendern und bei Warnungen vor der „Untergangsapokalypse“ bremst er.

Kalenderblätter, die in das Jahr 2030 zeigen. Ein Mann, der von seiner Armbanduhr die Uhrzeit 20:30 abliest. Es handelt sich um zwei Hinweise, kombiniert mit vielen weiteren, die in einem kurzen Video zu sehen sind. Dazu erklingt eine Melodie, komponiert von einer Zwölfjährigen, die als „Soundtrack für 2030“ betitelt wird. Denn, so ist spätestens jetzt im 35. Stock der Twin Towers am Wienerberg klar: Heute soll ein Ausblick gegeben werden auf das, was bis ins Jahr 2030 in Österreich geschehen soll - und zwar von Bundeskanzler Karl Nehammer.

Bevor dieser jedoch auftrat, folgte am Freitag noch ein zweites Video, das der Bundesparteichef der ÖVP schon gestern via Twitter geteilt hatte: Es zeigte seine ersten Monate als Regierungschef, die geprägt waren von der Pandemie bis hin zum Krieg in der Ukraine und deren Auswirkungen. Nun sei es an der Zeit, optimistisch in die Zukunft zu blicken und zu definieren, wofür man stehe, lautet die schriftlich beigefügte Botschaft. Am Freitag folgten Worte:

„Es ist tatsächlich eine besondere Zeit, in der wir uns treffen“, begann Nehammer nach dem Video seine Ansprache. Es sei eingetreten, was man für unmöglich gehalten habe - Krankheiten, Kriege, Energiekrise. „Sie alle sind von Angst geprägt“, fasste Nehammer zusammen. „Die Angst, dass die Wirtschaft einbricht, die Industriestandorte schließen und Arbeitsplätze gefährdet sind“, nannte er ein Beispiel. Zugleich habe diese Situation aber auch gezeigt, „dass wir das Unmögliche möglich gemacht haben“. Man könne Krisen überwinden, „durch Zusammenhalt und Kreativität“.

„Geistige Landesverteidigung“ absichern 

Zugleich wachse das Bedürfnis nach einer „Einordnung der aktuellen Lage“, so Nehammer. Daher habe er sich entschlossen, sich heute hier herzustellen und über „Dialog“ nachzudenken und „aufeinander zuzugehen“. Denn: „Es gibt die, die meinen, wir haben zu viel getan. Aber es gibt auch die, die meinen, wir haben zu wenig getan.“ Konkret: „Gräben sind nie gut - versöhnen heißt, miteinander reden und einander ein Stück weit verstehen lernen.“ Zugleich dürften die Augen vor tragischen Tatsachen nicht verschlossen werden: „Es ist unerträglich“, verwies Nehammer auf den Krieg in der Ukraine. Österreichs Position sei klar: „Wir sind die, die, wenn es um Frieden geht, die sind, die bereit sind, Brücken zu bauen.“ Man sei solidarisch mit den Schwachen.

Österreich sei „ein gutes Land, ein sicheres Land“, meinte Nehammer. Denn: „Es wird getragen von den Menschen hier.“ Er sei nun 15 Monate Kanzler und habe in dieser Zeit viele Einblicke ins System erhalten. Er kenne den Status quo: „Und da sind mir auch einige Punkte aufgefallen, die zeigen: Da läuft auch einiges falsch in unserem Staate. Die Demokratie ist immer wieder gefährdet“, etwa durch die derzeitige Energiekrise, bedauerte der ÖVP-Chef. Es würden Ängste geschürt, gezielte Desinformationskampagnen betrieben. „Demokratie muss wehrhaft sein“, forderte er daher ein. Jeder und jede müsse in seinem Inneren Wehrhaftigkeit entdecken - die „geistige Landesverteidigung“ betreiben und sichern - und sich zugleich besinnen, sich geistig wehrhaft machen.

Fünf Fragen für die Zukunft

Allerdings müssten bei alldem Grenzen eingehalten werden: Es könne nicht sein, dass Hass und Herabwürdigungen alltäglich seien. Dass man sich die Welt durch vorgefertigte Algorithmen zusammenzimmern lasse und seinen Blick dadurch einenge. Ein Beispiel: Es sei total in Ordnung, täglich mit dem Rad in die Arbeit zu fahren, aber es gebe keinen Grund, deswegen alle anderen zu beschimpfen, die mit dem Auto unterwegs seien. In anderen Worten: „Für mich stellen sich fünf entscheidende Fragen.“

Sie lauten: Bleibt es so, dass es weiterhin jeder Generation besser geht als der davor? Wie und wo werden wir in Zukunft leben? Werde 2030 „work“ oder „life“ im Fokus stehen? Gehe es um Verzicht und schließen Wohlstand, Umwelt und Klimaschutz einander aus? Und letztlich: Wie sicher ist Österreich tatsächlich in einer veränderten Welt 2030?

Reformen statt gendern, Besitz statt Mangel

Nehammer hatte auch einige Visionen parat, wie die dazugehörigen Antworten aussehen sollen. Natürlich könne man wochenlang über das Gendern in Broschüren debattieren und es gebe einige, die meinen, „dass man die Uni nur abschließen kann, wenn man richtig gendern kann“, begann er. Er aber sehe andere Notwendigkeiten: eine generelle Reform des Bildungssektors etwa: „Wir wollen, dass Schulen der Ort der Bildung und des Wissens sind und nicht zu Brennpunkten werden“, betonte er. Schulen sollen auf das Leben vorbereiten, nicht auf Arbeitslosigkeit. Es sei „keine Selbstverständlichkeit mehr“, dass Kinder Lesen, Schreiben und Rechnen können, wenn sie die Schule verlassen. Das aber müsse wieder zu einer Selbstverständlichkeit werden.

Auch an den Universitäten gebe es Handlungsbedarf: Es dürfe nicht sein, dass Menschen aus Deutschland in Österreich studieren und dann zurück nach Deutschland gehen, um dort zu arbeiten. Zugleich solle es nicht sein, dass gute Schülerinnen und Schüler aus Österreich ins Ausland gingen und dann dort blieben, beispielsweise als Ärztinnen und Ärzte und es dann in Österreich eine Versorgungskrise gebe.

Ein weiteres Anliegen des Kanzlers betrifft das Thema Altwerden: Er wolle, dass künftig Altersarmut in der Pension „kein Thema mehr ist“. Es müssten Anreize gesetzt werden, damit Menschen länger arbeiten können und auch wollen - das gehe aber nur, wenn die Menschen „nicht nur immer älter werden, sondern gesund älter werden“, schloss er den Kreis zum Thema Pflege: Es brauche Fachkräfte, gerne auch mithilfe der Rot-Weiß-Rot-Karte aus dem Ausland. Diese habe man bereits reformiert, aber doch gebe es noch einiges zu tun, denn: „Durch Bürokratie und Hemmnisse funktioniert das oft nicht.“ Soll heißen: Jedes Bundesland habe eigene Ansprüche an die Kräfte aus dem Ausland, was ein Bleiben häufig erschwere, bis unmöglich mache. Um das zu ändern, will Nehammer die Landeshauptleute zu einem „Nostrifikationsgipfel“ laden, um einheitliche Qualitätsansprüche zu formulieren. 

Nächstes Thema: Wohnen. „Mein Ziel ist, dass alle Österreicherinnen und Österreicher zur besitzenden Klasse gehören statt zur nicht besitzenden“, betonte der Kanzler und erhielt Zwischenapplaus. Der Fokus müsse darauf gelenkt werden, dass Menschen sich Eigentum leisten können. „2030 soll Österreich wieder mehr ein Land der Eigentümerinnen und Eigentümer werden“, so seine Vision.

Ähnlich wichtig wie ein Dach über dem Kopf erachtete Nehammer die Frage nach der Lebensmittelversorgung: Es sei Aufgabe der Politik, Bäuerinnen und Bauern von Hürden zu befreien. „Landwirtschaften muss 2030 noch möglich sein in Österreich“, appellierte er und kündigte an, die Fehlentwicklungen in der EU abändern zu wollen. Beispiel Putenfleisch: Dieses werde stark nachgefragt, in der Europäischen Union werde davon aber aufgrund diverser Auflagen nicht ausreichend produziert - sondern in Drittstaaten.

Neues Arbeitslosengesetz, strengere Sozialhilfevergabe

Stichwort Arbeit: Die Digitalisierung schreite weiter voran, Homeoffice sei ein fixer Alltagsbestandteil von vielen geworden, so Nehammer. Das sei in Ordnung, aber nicht alles: „Wir müssen dazu kommen, dass Arbeit ein Wert ist. Arbeit ist sinnstiftend“, sagte der ÖVP-Chef, um dann auf die aktuelle Teilzeitdebatte zu verweisen: Es könne nicht sein, dass die einen nur mehr „Work“ und die anderen nur noch „Life“ hätten. Das Grundprinzip müsse vielmehr sein: Leistung müsse sich lohnen, derzeit laute es leider viel zu oft: „Die einen arbeiten fürs Geld, die anderen bekommen das Geld.“

Man müsse aufhören mit Diskussionen à la „da die Guten, da die Schlechten“ - derartige Debatten lösten keine Probleme, befand Nehammer. „Solche Feindschaften dürfen gar nicht erst entstehen.“ Es brauche gute, motivierte, qualifizierte Arbeitnehmer und auf der anderen Seite willige Industrielle und Unternehmen, die mit Risiko bereit seien, Arbeitsplätze zu schaffen. „Das wird sich nicht von alleine nicht auflösen lassen“, meinte Nehammer. Er wolle aber seinen Beitrag dafür leisten, unter anderem mit einem „neuen Arbeitslosengeld“. Er stelle sich das wie folgt vor: „Der, der 30, 35 ist und zwei gesunde Hände hat, soll auch tatsächlich arbeiten gehen.“

Deutliche Worte hatte Nehammer auch bezüglich der Migration parat: „Der Kampf gegen die irreguläre Migration ist auch ein Kampf der organisierten Kriminalität, die das Leid der Menschen brutal ausnützt.“ Es sei auch eine Zukunftsfrage, „dass wir gezielte, kontrollierte und geordnete Zuwanderung haben“. Entscheidend sei, „dass wir entscheiden, wer nach Österreich kommt - und nicht die organisierte Kriminalität“. Ein weiterer Aspekt: Vollen Anspruch auf Sozialleistungen sollen künftig nur noch jene haben, die mindestens fünf Jahre in Österreich leben.

„Österreich ist das Autoland schlechthin“ 

„Wir müssen auch feststellen, dass wir höchst problematische Abhängigkeiten entwickelt haben“, strich der Regierungschef hervor. Man müsse sich überlegen, wie man in gewissen Bereichen autonomer werden oder Kooperationen mit neuen Staaten schließen könne. Denn: „Ein querstehendes Schiff im Suezkanal kann dazu führen, dass höchst erfolgreiche Unternehmer Kurzarbeit anmelden müssen, weil sie Produkte nicht produzieren können“, erinnerte er.

Sodann wagte sich der Kanzler an das Thema Klimawandel. Diesem sei mit wissenschaftlich fundierten Maßnahmen, mit Kreativität und Innovation zu begegnen, nicht aber mit Verboten: „Ich habe in der Geschichte noch nie erlebt, dass ein Rückschritt jemals ein Fortschritt war“, ortete Nehammer „seltsame Formen“ in der Diskussion. So habe er manchmal den Eindruck, man müsse „sich dafür entschuldigen, dass man auf der Welt ist“. Er wolle das Problem nicht kleinreden, fügte er an, vielmehr seien Kreativität und Innovation gefragt. Aber: Der „Untergangsapokalypse, die gezeichnet wird“, wolle er doch „klar entgegentreten“.

Eindeutig „dagegen aussprechen“, wolle er sich auch in der Debatte, „den Verbrennungsmotor zu verbannen“, versprach er. Denn: Österreich sei in der Entwicklung und Erforschung führend. Mehr noch: „Österreich ist das Autoland schlechthin“, meinte der Kanzler. Nicht, weil so viele mit dem Auto fahren, sondern weil rund 80.000 Menschen in diesem Bereich arbeiten.

Neutralität als „fixer Bestandteil“ Österreichs

Durch den Ausbruch des Krieges in der Ukraine habe er „gelernt, wie wertvoll Sicherheit und Frieden sind und wie selbstverständlich beides für uns waren“, wurde er leiser und erinnert an seinen Besuch in Kiew. Als er von dort zurückgekommen sei, sei ihm besonders deutlich geworden, „wie schön es ist, in einem freien Land zu leben und diesem politisch dienen zu dürfen“. Bis 2030 wolle er deshalb eine Sicherheitsstrategie entwickeln, in der „die Neutralität ein fixer Bestandteil ist“.

Das und alle genannten Punkte sollen „Teil eines Zukunftsplanes“ sein, zu dessen Ausarbeitung Nehammer Politikerinnen und Politiker sowie Expertinnen und Experten einladen wolle, schloss der Kanzler sodann seine Rede für ein „Österreich 2030“.

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