Nachgefragt. „Die Presse“ spricht mit Rektoren heimischer Unis – diesmal mit Elisabeth Gutjahr von der Uni Mozarteum Salzburg, Brigitte Hütter von der Kunstuniversität Linz und Gerald Bast von der Universität für angewandte Kunst Wien.
Die Digitalisierung rollt über dasLand und hinterlässt ihre Spuren – auch in der bildenden und angewandten Kunst. Im „Presse“-Gespräch erklären die Rektoren des Mozarteums, der Kunstuni Linz undder „Angewandten“, welche Transformation die Kunst durch das Digitale erlebt, welche Rolle die analogen Techniken einnehmen und wie Analog und Digital optimal zusammengedacht werden können.
Wie hat sich die bildende und angewandte Kunst durch die Digitalisierung verändert?
Gerald Bast (Angewandte): Künstler stellen künstlerische Arbeiten mithilfe unterschiedlicher Medien her. Digitale Medien sind dabei nichts anderes als Werkzeuge, wie Papier oder Bronze, die dafür verarbeitet werden. Daher ist Digital und Analog überhaupt kein Widerspruch, sondern eine logische Entwicklung. Eben weil sich Künstler schon immer modernster Technologien bemächtigt haben, um Kunstproduktion zu betreiben, war auch die Vermischung unterschiedlicher Medien immer Teil der Kunstgeschichte. Die Digitalisierung führt aber dazu, dass maschinell produzierbare Dinge auch von Maschinen produziert werden und jene Dinge, die nicht von Maschinen gemacht werden können, wieder stärker ins Zentrum der Künstler rücken.
Elisabeth Gutjahr (Mozarteum): Digitale Medien bewirken eine niederschwellige Ermächtigung der Kunst und bieten Menschen ohne künstlerische Ausbildung die Möglichkeit, selbst gestalterisch tätig zu werden. Für die Kunst selbst ist mit der Digitalisierung ein unglaublicher Stilmix möglich und der Kunstbegriff – besonders in der angewandten Kunst – schon so weit gefasst, dass er sich aufzulösen droht. Gleichzeitig führte die Digitalisierung zu einem ausdifferenzierten Bewusstsein darüber, welchen hohen Wert alte analoge Techniken haben, eben weil sie eine hohe Kunstfertigkeit erfordern.
Brigitte Hütter (Kunstuni Linz): Digitale Technologien bilden heutzutage eine wichtige Basis für die Erweiterung existierender Methoden in den Künsten: Bildhauerische Arbeiten lassen sich am Computer modellieren und können im 3-D-Drucker zu Objekten werden. Das große Feld der Medienkunst ist originär mit digitalen Anwendungen verbunden. Online-Plattformen ermöglichen es jungen, noch nicht so etablierten Künstlern, ihre Arbeiten einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Und auch für den Verkauf von Kunstwerken spielen digitale Technologien eine Rolle – man denke hierfür an den Hype um die sogenannten NFTs.
Digitalität ist in aller Munde, aber wo liegen die Grenzen? Was kann das Analoge, was das Digitale nicht kann?
Gutjahr: Künstler sind Grenzgänger und lieben es, an der Grenze des Möglichen zu experimentieren. Daher wäre ich vorsichtig, von einem abstrakten Begriff des Grenzraums zu sprechen. Ich würde eher sagen: Grenzen sind etwas Interessantes, Herausforderndes – das führt bis zur Frage, ob Kunst von einer künstlichen Intelligenz geschaffen werden kann. Entscheidend ist, sich mit diesen Grenzen des Digitalen und Analogen auseinanderzusetzen. Der unmittelbare, direkte Vergleich eröffnet ein größeres Verständnis davon, wie sich künstlerische Qualität zeigt oder manifestiert.
Bast: Man kann mit analogen genauso wie mit digitalen Medien künstlerische Arbeiten hervorbringen. Es kommt immer darauf an, wie das Medium eingesetzt wird und ob es den Künstlern gelingt, Unschärfen herzustellen und Mehrdeutigkeiten zu produzieren. Ich kann analoge und digitale Medien nutzen, um ein vielschichtiges Kunstwerk oder eben nur ein banales Abbild zu schaffen.
Hütter: Kunst bezieht sich nicht nur auf die körperlichen oder digitalen Objekte, sondern beinhaltet auch die soziale Interaktion: Künstler kollaborieren miteinander, man tauscht sich aus, wechselt Blickwinkel. Was das Analoge kann und das Digitale nicht, lässt sich am besten mit den Erfahrungen der Pandemie zeigen: Für die kunstuniversitäre Lehre stellt der Präsenzunterricht eine unabdingbare Voraussetzung dar. Die Universität als Ort des Lehrens und Lernens, des lebendigen Austausches und des künstlerischen und wissenschaftlichen Arbeitens ist rein digital nicht möglich.
Welches Potenzial birgt Digitalität für die Lehre der Künste?
Gutjahr: Unsere Studierenden setzen sich mit traditionellen und aktuellen Produktionsprozessen auseinander. Sie lernen einerseits das klassische Handwerk der Druckgrafik, schauen sich aber auch an, wie eine vergleichbare Optik heute mit digitalen Medien erreicht wird. Für die Übertragung in die schulische Realität birgt das Digitale insofern mehr Möglichkeiten, als die Schüler ihre eigenen gestalterischen Erfahrungen meist mit digitalen Medien leichter realisieren können, mit traditionellen Medien lässt sich das oft nur schwer verwirklichen, da beispielsweise eine alte Druckerpresse nur mit viel Aufwand in den Klassenraum gebracht werden kann.
Bast: Neben unseren Werkstätten, wo mit traditionellen Medien wie Metall, Textil, Holz oder Keramik gearbeitet wird, haben wir für unsere Studierenden eine Werkstätte für digitale Fotografie und ein „Coding Lab“ eingerichtet, wo Daten die Grundlagen für die Gestaltungsprozesse sind. Das Studium an der Angewandten gibt den Studierenden einen großen Spielraum, wie sie analoge und digitale Medien für ihre eigenen künstlerischen Arbeiten verwenden wollen.
Hütter: Online-Konferenztools bereichern auch nach der Pandemie die Lehre nachhaltig. Es kann ökonomisch und ökologisch durchaus sinnvoll sein, Referenten digital einzuladen, etwa wenn diese Person weit entfernt lebt und arbeitet. Ein enormes Potenzial könnte in Technologien wie Virtual- und Augmented Reality liegen, die es Künstlern ermöglichen, über die Distanz hinweg tatsächlich miteinander unmittelbar zusammenzuarbeiten. An der Kunstuniversität Linz laufen hierzu vielfältige Experimente.
Welche Rolle nehmen die Studierenden in einer von Digitalität geprägten Zukunft ein?
Hütter: Unsere Studierenden können digitale Medien nicht nur versiert nutzen und selbst neu kreieren, sondern verstehen es auch, deren Funktionsmechanismen und gesellschaftliche Auswirkungen kritisch-reflektiert zu hinterfragen. Damit lernen sie, das Analoge und das Digitale zu verbinden und mögliche diverse Ansätze zu verfolgen und zur Diskussion zu stellen.
Gutjahr: Als Universität bieten wir den Studierenden einen Schutzraum, wo sie alte und neue Techniken kreativ erproben und erweitern können. Dieses breite künstlerisch-praktische Wissen bringen sie dann in die Schulklassen und können den stark in der digitalen Erfahrung lebenden Schülern Wissen über analoge Methoden vermitteln.
Bast: Die Studierenden reizen die Möglichkeiten dieser Technologien aus. Das haben Künstler zu jeder Zeit gemacht, und das passiert jetzt wieder.
Wie können Analog und Digital optimal zusammengedacht werden?
Hütter: Die Qualität einer Arbeit, ganz gleich in welchem Bereich der Künste, kann sich auch durch geschicktes Verschränken digitaler und analoger Fertigkeiten auszeichnen. Oft sind das Digitale und Analoge zwei Seiten einer Medaille.
Gutjahr: Analog und Digital können sich optimal ergänzen, wenn die künstlerische Intention optimal umgesetzt wird. Optimal heißt, dass es der Idee dient, aber auch im Machbarkeitsbereich liegt und nicht überbordend teuer ist. Der Mix von Analogem und Digitalem wird immer durch die jeweilige Situation definiert.
Bast: Wir versuchen an der Universität den Zugang zu ermöglichen, analoge Werkzeuge und Werkzeuge der digitalen Technologie so zu verwenden, wie es dem Mindset eines Künstlers entspricht: Um Perspektiven zu wechseln, ungewöhnliche Zusammenhänge herzustellen und Mehrdeutigkeiten zu produzieren. Und um zu zeigen, dass die Welt nicht eindeutig, sondern vielschichtig ist.
[ Fotos: Elsa Okazaki, vog.photo, Heribert Corn]
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2023)