Kanzlerrede

Der verbale Rundumschlag des Karl Nehammer

„Leistung muss sich wieder lohnen“, gab Nehammer als Mantra aus.
„Leistung muss sich wieder lohnen“, gab Nehammer als Mantra aus. APA/ROLAND SCHLAGER
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Der ÖVP–Chef teilte gegen EU, Gendern und Klimaschützer aus. Die Sozialleistungen will er reformieren.

Wien. In der ersten Reihe waren sie alle versammelt. Die Regierungsmitglieder der ÖVP, die Landeshauptleute der ÖVP, der ÖVP-Klubobmann und der Erste Nationalratspräsident. Sie alle kamen, um der Rede „zur Zukunft der Nation“ von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Freitag in Wien zu lauschen. Grüne Regierungsvertreter zeigten sich bei der Veranstaltung in einem Hochhaus am Wienerberg hingegen nicht. In seiner Rede nahm Nehammer dann auf die Befindlichkeiten seines Koalitionspartners auch nicht Rücksicht. Er teilte gegen das Gendern, Klimaschützer und die EU aus.

Der Bundeskanzler skizzierte, wo Österreich im Jahr 2030 stehen soll, welche Pflöcke er dafür einschlagen will – von der Bildungs- über die Migrations- bis hin zur Steuerpolitik. Die Ziele sollen nun von Experten in einem Zukunftsplan „Österreich 2030“ ausgearbeitet werden.

Reform der Sozialhilfe

Die Verhandlungen zur Reform des Arbeitslosengeldes zwischen ÖVP und Grünen sind im Dezember 2022 gescheitert. Nehammer drängte nun erneut auf die Umstellung auf ein degressives Modell, bei dem zunächst mehr Geld ausbezahlt werden soll, dieses dann aber rasch sinken soll. Zum Bezug der vollen Sozialleistungen sollen nur jene Menschen berechtigt sein, die durchgehend fünf Jahre legal in Österreich leben. Alle anderen Personen sollen nur die Hälfte der Sozialleistungen bekommen, sagte Nehammer. Migranten sollen außerdem künftig mehr Geld- statt Sachleistungen erhalten.

Leichterer Eigentumserwerb

Die Grunderwerbssteuer für den Erwerb des ersten Eigenheimes soll gestrichen werden. Jährlich sollen 1,2 Milliarden Euro der Wohnbauförderung für den Eigentumserwerb zweckgewidmet werden. Ebenso soll das Modell des Mietkaufs ausgerollt und die Abgabenquote von 42 auf 40 Prozent gesenkt werden, kündigte der Kanzler an. Die Menschen dürften nicht von der öffentlichen Hand abhängig seien, etwa dadurch, dass sie in Gemeindewohnungen wohnen.

Gendern und „Untergangsirrsinn“

Dem Gendern erteilte Nehammer eine Absage. Durch Fokus auf das Gendern verliere man den „Blick auf die echten Probleme der Menschen“. Beim Klimaschutz warnte er vor „Untergangsirrsinn“: „Manchmal hat man das Gefühl, dass man sich schon dafür entschuldigen muss, auf der Welt zu sein“, so Nehammer. Er werde sich dagegen aussprechen, den Verbrennungsmotor zu verbieten. Beim Klimaschutz sollen Technik und Kreativität den Weg weisen.

Mehr Härte gegenüber EU

Auch gegen die EU teilte Nehammer aus. Er beschwerte sich über Überregulierungen und einen „vorauseilenden Gehorsam gegenüber Brüssel“. Er wolle kein „zentralistisches Europa“. Gerade bei der Migration müsse die EU in die Gänge kommen, denn das europäische Asylsystem sei kaputt, so der Kanzler. Bis sich hier etwas bewege, bleibe Österreichs Schengen-Veto aufrecht.

Mehr Kassenärzte

Mit 800 zusätzlichen Kassenärzten soll bis 2030 die Versorgungssicherheit in den Städten und am Land gesichert werden. Die Medizin-Aufnahmeprüfung soll überarbeitet und die Kriterien gelockert werden, damit es mehr Absolventen gibt. Außerdem wird nach den Nehammer-Plänen eine Berufspflicht für Medizinstudenten angedacht: Wer in Österreich studiert, soll auch verpflichtend hierzulande arbeiten.

Neues Schulfach

„Das Mittelmaß darf nicht das Ziel sein“, sagte Nehammer. Schulen dürften nicht auf die Arbeitslosigkeit vorbereiten, vielmehr müssten Talente gefördert werden. Ab der fünften Schulstufe soll das Unterrichtsfach „Programmieren und Coding“ eingeführt werden. Daneben soll nicht zwingend jeder einen Studienabschluss machen müssen. „Das Handwerk ist genauso wertvoll wie die Naturwissenschaften“, so Nehammer. Daher soll die Meisterprüfung wie das Studium für jedermann kostenlos zugänglich sein.

Neue Sicherheitsdoktrin

Bisher hatte sich die ÖVP dagegen gesträubt, Nehammer kündigte nun eine „neue Sicherheitsstrategie“ an. Die aktuell gültige Doktrin stammt aus dem Jahr 2013 und ist teilweise stark veraltet. Laut dem Kanzler muss in der neuen Strategie „die Neutralität ein fixer Bestandteil sein“.

Die Reaktionen

Umweltschützer zeigten sich über die Kanzlerrede entsetzt. Die SPÖ ortete ein Versagen der „türkisen Truppe“, FPÖ–Chef Herbert Kickl bewertete den Auftritt als „nichts anderes als eine vorösterliche Wald-und-Wiesen-Rede“. Vom grünen Koalitionspartner war nichts zu hören.

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