In Israel nähert sich der Streit um die von der rechts-religiösen Regierung Benjamin Netanjahus geplante Justizreform dem Siedepunkt. Sie würde die Macht des Höchstgerichts schmälern und jene der Regierung praktisch grenzenlos erweitern. Der Widerstand erfasst sogar Teile des Militärs. Manche Analysten warnen im Extremfall vor Bürgerkrieg.
Woche für Woche versinken am Samstagabend zentrale Straßen Tel Avivs in einem blau-weißen Fahnenmeer. Zehntausende Menschen, die israelische Nationalflagge schwenkend, drängen sich dann dicht an dicht auf den Hauptverkehrswegen der Stadt, die nach frühen israelischen Nationalisten benannt wurden: Eliezer Kaplan, Haim Arlosoroff.
Uneingeweihte könnten die Marschierer selbst für Nationalisten halten, und tatsächlich verstehen sich viele von ihnen so: Sie protestieren aus Liebe zu ihrem Land. Aber dabei stellen sie sich gegen eine Regierung, zu der ebenfalls Nationalisten gehören, teils extrem Rechte.
Diese Regierung, angeführt von Langzeitpremier Benjamin Netanjahu, will die Gewaltenteilung des Landes grundlegend verändern. Im Eiltempo versucht die Koalition aus Rechten und Ultrareligiösen, die erst seit Ende Dezember im Land ist, eine umfangreiche Justizreform durchs Parlament zu bringen. Bisher hat das Oberste Gericht die Macht, Gesetze, die den Grundgesetzen zuwiderlaufen, für ungültig zu erklären. Die Reform aber sieht vor, dass schon eine einfache Mehrheit im Parlament eine solche Gerichtsentscheidung in Zukunft aufheben kann. Und da Israel keine anderen Institutionen besitzt, die die Regierung in ihrem Handeln beschränken – eine zweite Kammer im Parlament etwa oder ein föderales System –, gäbe es dann keine Institution mehr, die einer schmalen politischen Mehrheit in den Arm fallen könnte.