Nachruf auf Ernst Tugendhat

Er dachte so, wie ein Philosoph denken sollte

Philosophicum Lech
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Ernst Tugendhat, der das scheinbar Unvereinbare vereinen konnte, ist im Alter von 93 Jahren gestorben.

Was zeichnet einen idealtypischen Philosophen aus? Er sollte klar argumentieren, nicht poetisch schwelgen. Bescheiden sein, sich nicht in Szene setzen, aber doch seine Stimme erheben, auch politisch. Er sollte sich und uns nicht schonen, unser Wunschdenken entlarven, aber auch die eigenen Gewissheiten hinterfragen. Lieber neu anheben, als sich mit erkannten Irrtümern bequem zu arrangieren. Sich von ewigen Wahrheiten verabschieden, aber nie vergessen, dass philosophieren heißt, sie sehnsüchtig zu suchen. Die berauschend großen Fragen stellen, aber dabei nüchtern bleiben. Verständlich. Und nie langweilig. Diesem Ideal ist Ernst Tugendhat näher gekommen als jeder andere deutschsprachige Philosoph unserer Zeit. Nun ist er im Alter von 93 Jahren in Freiburg gestorben.

Tugendhat – da denken Architekturfans an die Villa von Mies van der Rohe in Brno. Ebendort wurde Ernst 1930 geboren, als Sohn eines Textilfabrikanten. Die Familie floh 1938 vor den Nazis, erst in die Schweiz, dann nach Venezuela, wo Schwester Daniela zur Welt kam, die spätere Pionierin der feministischen Kunstgeschichtsschreibung. Ernsts Leidenschaft für die Philosophie entzündete sich an der Lektüre von „Sein und Zeit“, und ausgerechnet um Heidegger zu hören, den durch seine NS-Karriere Kontaminierten, kam der jüdische Exilant nach Europa zurück. Er blieb zunächst im Bannkreis von Heidegger und Husserl, bis er Mitte der 1960er-Jahre auf einem Gastsemester in den USA sein zweites Erweckungserlebnis hatte: Er konvertierte zur analytischen Sprachphilosophie.

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