Interview

Nina Chruschtschowa: "Putin führt Krieg um des Krieges willen"

(c) Die Presse/Clemens Fabry (Clemens Fabry)
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Für die Politologin und Chruschtschow-Urenkelin ist der Kreml-Chef noch lange nicht am Ende. Sie warnt vor verfrühtem Triumphalismus und glaubt, dass auch das letzte Tabu des Westens - Bodentruppen für die Ukraine - fallen könnte. Sie kritisiert die „Cancel Culture“ gegen russische Kultur und nimmt die „schockstarren“ Russen in Schutz.

Die Presse: Sie lebten von Juni 2022 bis Jänner 2023 in Russland. Wie reagiert Ihrer Beobachtung nach die russische Gesellschaft auf den Krieg?

Nina Chruschtschowa: Ich erzähle Ihnen eine Geschichte: Der bekannte Künstler Juri Schewtschuk von der Rockgruppe DDT äußerte sich öffentlich gegen den Krieg. Alle seine Konzerte wurden gestrichen, er bekam eine Strafe aufgebrummt. Vor meiner Moskauer Wohnung sangen ein paar Jungs seine Hymne „Rodina“ (Heimatland). Ich gab ihnen etwas Geld und hoffte, dass sie nicht verhaftet würden. Während ich wegging, kam die Polizei und nahm sie mit. Jeder, der so etwas sieht, wird sich künftig zurückhalten.

Viele unterstützen den Krieg. Davon sprechen die Umfragen.

Laut Umfragen unterstützen drei Viertel der Menschen den Krieg. Nein, das tun sie nicht. Wenn man aus einem despotischen Land mit wiederkehrenden Gewaltzyklen kommt, ist die Angst genetisch. Die Menschen wissen, dass man ihnen alles antun kann. Sie spüren, dass sie wenig tun können. Sie versuchen zu überleben. Derzeit macht man die Russen überall auf der Welt schlecht. Ich mache sie nicht dafür verantwortlich, dass sie nicht protestieren.

Das Ausmaß an Apathie und Passivität erschreckt Sie nicht?

Ich sehe keine Apathie. Die Menschen sind starr vor Verzweiflung und Entsetzen – Sie wissen nicht, wie es weitergehen wird. Putin sagt, vor uns liege eine souveräne Zukunft. Souverän wovon? Welche Zukunft? Sollen die Russen auf die Straße gehen und erschossen werden wie die Iraner? Gratulation, dass die das machen. Sie stehen schon lange unter Druck. Vielleicht werden die Russen in 30 Jahren auch auf die Straße gehen. Der Verkauf von Antidepressiva ist sprunghaft gestiegen. So sieht kein Land aus, das den Krieg unterstützt.

Der Krieg ist in der Gesellschaft angekommen. Ehemänner und Söhne kehren in Särgen aus der Ukraine zurück. Warum führt nicht einmal persönlicher Verlust zu einer Reaktion?

Was sollen sie tun?

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