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Drei Jahre auf Teneriffa

Luise Schmidt betreute Kinder auf Teneriffa.
Luise Schmidt betreute Kinder auf Teneriffa. Martin Amanshauser
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Au-Pair vor rund 120 Jahren: Die Geschichte einer jungen Deutschen auf Teneriffa.

Die zwanzigjährige Luise Schmidt (1883 1961) aus der 1. Vereinsstraße in Halle an der Saale hatte einen Hang zum Abenteuer. Ausgebildet in der Realschule, besuchte sie einen Kindergärtnerin-Lehrgang. Auf eine Stellen anzeige in der Illustrierten "Daheim" bewarb sie sich heimlich als Erzieherin auf den Kanarischen Inseln und wurde, "zum Entsetzen meiner Mutter, aber zur Freude meines Vaters", engagiert. Das Tagebuch der jungen Frau, bearbeitet von Enkel Klaus Matzdorff, beschreibt farbig und selbstbewusst ihre drei Jahre auf Teneriffa. Am 6. Februar 1904 besteigt sie in Hamburg die 111 Meter lange "Lucie Woermann". An Bord schließt sie Freundschaft mit jungen Offizieren auf dem Weg nach Deutsch-Südwestafrika. Einer, John Behrmann, eröffnet ihr, dass er sie nach seiner Rückkehr in Deutschland, so sie noch frei sei, gern heiraten würde.

Bei der Hotelier-Familie Trenkel (Hotel Martianez in La Orotava), Vater deutsch, Mutter britisch, betreut sie drei, später fünf Kinder, keine leichte Aufgabe. "Frau Trenkel findet immer zu tadeln, ich glaub, sie mag alles Deutsche nicht leiden und ärgert sich, dass ihre Kinder sollen Deutsch erzogen werden." Langsam nähert sie sich der Kultur an, ist fassungslos über Stierkampf und Sonntagsjahrmarkt vor der Kirche, wehrt glutäugige spanische Freier ab und schmachtet nach Briefen von John. Zu den Höhepunkten gehört der Besuch des Königs, dem sie vom Fenster aus mit einem Taschentuch zuwinkt. Der drei Jahre jüngere Alfono XIII. ("er hat ein schmales, bleiches Gesicht, nicht schön") winkt lächelnd zurück.
John schafft es, Luise auf der Durchreise kurz zu besuchen: ein einziger Spaziergang. Später wird er nach Fernost versetzt. Der Herausgeber berichtet, seine Briefe wurden von einer Sekretärin abgezweigt, die ihrerseits auf John stand. Luise heiratete nach ihrer Rückkehr den Lehrer Richard Sonntag, gebar zwei Kinder. Mit den Trenkels bleibt sie zeitlebens verbunden. Eines Tages schreibt John wieder. Luise und ihr Mann treffen ihn in Hamburg. Die beiden Herren, so heißt es, sollen sich blendend verstanden haben. 

("Die Presse Schaufenster" vom 24.03.23)

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