DS

Wir müssen etwas ausholen

(c) Juergen Skarwan
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DS als moderne Interpretation von etwas, das nie aufgehört hat, modern zu sein.

Wir müssen etwas ausholen, denn der Vergleich ist unfair. Er wäre für die ganze Autoindustrie anmaßend: Epochales wie Citroëns DS von 1955 kann heute keiner mehr vom Stapel lassen. Damit müssen wir leben. Aber warum ist das so, und wer wollte behaupten, heute Autos in ihrem Geiste zu produzieren? Eine Zweigstelle des Markenimperiums Stellantis trägt den klingenden Namen. Als Ausstattungslinie von Citroën ins Leben gerufen, firmiert DS Automobiles seit 2017 als eigenständige Marke, die Citroën auch nicht mehr zu- oder untergeordnet ist. Und der Anspruch steht im Raum: „The Spirit of Avant-Garde“ lautet der Markenclaim. Doch wie weit ist DS – oder irgendein Autohersteller auf der Welt – vom Geist des Originals tatsächlich entfernt?

Automobile Avantgarde ist zunächst etwas, das sich in Frankreich in den 1920er-Jahren zusammenbraute. Paris war zu der Zeit die Welthauptstadt des Fortschritts, hier wurde wegweisende Architektur geschaffen, hier waren die führenden Ingenieure der jungen Luftfahrt zugange – das erste moderne Flugzeug war 1917 bei Voisin (in der Nähe von Paris) entstanden, den üblichen Doppeldeckern weit voraus. Die allermeisten Pionierflüge, so die erste Kanalüberquerung, fanden in französischen Fabrikaten statt. Gustave Eiffel hatte nicht nur seinen Turm gebaut, sondern auch den weltweit ersten Windkanal, in dem man sich den Prinzipien der Aerodynamik annäherte, für Züge, Flugzeuge und Autos.

»Die DS hat eine vorgeschichte, oder zwei: Ente und Traction Avant.«

1921 startete der Industrielle André Citroën eine Automobilmarke. Nach einem Besuch bei Henry Ford in den USA war er der Erste in Europa, der die moderne Fließbandfertigung einführte. Fords Produktionsmethoden hatte Citroën übernommen, keineswegs aber dessen Philosophie des möglichst anspruchslosen Autodesigns. Zwar waren auch die ersten Citroën-Modelle eher konventionell, doch der Firmengründer, ein Verehrer Jules ­Vernes, war vom Glauben an den Fortschritt getrieben, „bis ins Utopische“, wie ein Biograf festhält. Eine Weltsicht, die über bloße Mechanik weit hinausging, in der Architektur, Künste, politische und gesellschaftliche Visionen und eben Autos zusammenfanden. Das unterschied die Marke von Peugeot und Renault, wo man großindustrieller Logik folgte. Zu Citroën kamen die Freigeister und Querdenker; um nur zwei herausragende zu nennen: Rennfahrer André Lefebvre (1894–1964), der noch bei Voisin von Flugzeugingenieur auf Autos umgesattelt hatte – zwei Welten mit damals fließenden Übergängen –, und der italienische Einwanderer Flaminio Bertoni (1903–1964), Architekt, Bildhauer, Autodesigner und Bewunderer da Vincis. Die beiden stießen Anfang der 1930er zu Citroën und gelten als Väter der DS.
Doch es fehlt noch die Vorstufe, eigentlich sind es zwei: 2CV „Ente“ und Traction Avant, ab 1936. Die Genialität der Ente, eine bis 1990 gebaute Konstruktion aus den Dreißigerjahren, der man heute noch einen anerkennenden, liebevollen Blick zuwirft, wenn man sie auf der Straße sieht, ist augenfällig, ihr Rang unter den automobilen Ikonen unbestritten.

Das Andenken an den Traction Avant, bei uns auch bekannt als „Gangster-Citroën“, ist schon mehr ein Fall für Kenner – was nur an der übermächtigen Nachfolgerin liegen kann, eben der DS. Denn in dem Viertürer mit dem namengebenden Frontantrieb und der selbsttragenden Karosserie sind schon die meisten Anlagen enthalten – ausdrücklich auch Massenfertigung, um erschwingliche Preise sicherzustellen. Der automobile Fortschritt sollte bei Citroën nicht zahlungskräftiger Kundschaft vorbehalten bleiben. Unverblümt lief das Projekt unter „VGD“, für Voiture de Grande Diffusion: Auto mit großer Verbreitung. Avantgarde gewiss, aber elitär und Luxus, damit hatte die Marke nichts im Sinn. Der Traction Avant, so erfolgreich er auch werden sollte (760.000 Exemplare!) war ein Wagnis gewesen, dessen Entwicklung Citroën an den Rand des Ruins brachte. Reifenproduzent Michelin übernahm, der Firmengründer selbst erlebte die Premiere nicht, er starb 1935.

Nach dem Krieg holten Ingenieur Lefebvre und Designer Bertoni dann zum großen Schlag aus, so als ob sie die Tragödie der Kriegsjahre und den lähmenden Stillstand ziviler Entwicklung wettmachen wollten – mit einem Auto, dessen radikale Grundzüge sie schon 1939 ersonnen hatten. Erfolgreich geheim gehalten, wurde die Sensation im Oktober 1955 auf dem Pariser Autosalon der Öffentlichkeit gezeigt. Um die Wirkung der „Königin der Motorshow“ abzuschätzen, ein paar zeitgenössische Pressestimmen: „Ein Auto, das ein Fenster in die Zukunft öffnet“, „Das Auto, das Marsmenschen fahren würden“, „Das Auto aus dem Weltall“. „Keiner konnte glauben, dass ein Auto so aussehen kann“, hieß es. Pech halt, wer auf dem Salon sonst noch Rummel für seine Neuheiten machen wollte. Die Marke hatte mit fast allen Konventionen des Autobaus gebrochen. Obwohl als Skulptur von der Hand Bertonis geformt, entsprach die Karosserie der DS den Gesetzen der Aerodynamik mehr als jedes andere in großer Stückzahl produzierte Auto jener Tage; statt eines Kühlergrills gab es eine Front, rund wie ein Schiffsbug, die hinteren Blinkleuchten waren oben aufs Heck gesetzt, alles war fließend, nirgendwo harte Kanten zu sehen. Zentrales technisches Merkmal war die Innovation der Hydropneumatik für Lenkung, Bremsen, die halbautomatische Schaltung und vor allem die Dämpfer, in Anerkennung des immer noch traurigen Zustands der Straßen im Land und Ursache eines unvergleichlichen, schwebenden Fahrgefühls, von dem die federächzenden Fahrwerke der Zeit meilenweit entfernt waren. Die Hydropneumatik, die den Körper um 28 Zentimeter heben und senken konnte, erzeugte den Eindruck eines lebenden Autos, mehr Organismus als Maschine.
Heute eine DS zu fahren, das ist ein steter Eindruck von Leichtigkeit, der förderlich auf das Geistesleben seiner Insassen wirkt: Während die Maschine stillschweigend und beflissen die Arbeit erledigt und Unbill wie schlechte Straßen aus der Wahrnehmung bannt, hängt der unbehelligte Mensch seinen Gedanken nach – im damaligen Glauben, dass noch was Gscheites dabei herausschaut.

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