Kanzlerrede. Die ÖVP hat nie vorgehabt, ihr gemütliches „Weiter wie bisher“ aufzugeben und etwas an ihrer Klimapolitik zu verändern.
Die Autorin:
Lena Schilling (* 2001 in Wien) ist Klimaaktivistin und Gründerin des Jugendrats. Studium der Politikwissenschaft. Autorin.
Der Kanzler spricht zur Zukunft der Nation, oder eher über alles außer der Zukunft der Nation. Statt über Klima-, Energie- oder Sozialpolitik zu sprechen, über die multiplen Krisen und die Belastung für die Menschen in dem Land, redet Nehammer über Blasmusik und das Häuslbauen. Die anwesenden ÖVP-Mitglieder klatschen bei der Pressekonferenz, nicht so begeistert wie die Gäste im „Musikantenstadl“, aber in einem ähnlich falschen Rhythmus. Statt Zukunft als gemeinsame Herausforderung zu begreifen, macht Nehammer Kulturkampf mit Steinzeitmethoden.
Das Resümee: Zukunftsweisende Herausforderungen wie der Klimaschutz werden von der ÖVP mit einer ähnlichen Ernsthaftigkeit angegangen wie Neujahrsvorsätze. So wie viele von uns zu Beginn des Jahres unseren Freunden erzählen, „jetzt wirklich mehr Sport zu machen“, und dann doch auf dem Sofa bleiben, hat die ÖVP nie vorgehabt, ihr gemütliches „Weiter wie bisher“ aufzugeben und irgendetwas an ihrer Klimapolitik zu verändern. Einer dieser Vorsätze war, bis 2040 Klimaneutralität in Österreich zu schaffen; dazu fehlen aber nicht nur wichtige rechtliche Rahmenbedingungen wie ein Klimaschutz-, ein Erneuerbaren-Wärme- und ein Energie-Effizienz-Gesetz, sondern der Wille, Krisen anzuerkennen.
Märchen der Innovation
Seit 36 Jahren regiert die ÖVP ununterbrochen in Österreich, seit über 30 Jahren steigen die Emissionen im Verkehrssektor am meisten an. Die Mobilität wäre eine der großen Stellschrauben im Kampf gegen die Klimakrise. Statt jetzt aber einzugestehen, dass es nicht die beste Idee war, in Österreich, vor allem im ländlichen Raum, 500 km Schienen abzubauen und durch 300 km Autobahnen und Schnellstraßen zu ersetzen, fährt man weiter mit dem Auto mit Verbrennungsmotor gegen die Klimakrise an. Um das Gewissen zu beruhigen, weil es mit den Vorsätzen nicht klappt, erzählt man sich das Märchen der Innovation, die dann schon alles richten wird, und wirft mit Begriffen wie „Technologieoffenheit“ um sich. Auch wenn schon lang widerlegt wurde, dass sich die Klimakrise allein mit Technologien lösen lässt, erzählt es sich gut. Es ist Nehammers Mantra, während er mit uns in den Abgrund schlafwandelt.
Anstatt zu tun, was nötig wäre, schlägt er eine Abwehrschlacht für ein sterbendes System. Ein fossiles System, das wir uns als Menschheit nicht mehr leisten können. Statt einer Energiewende und eines tatsächlich innovativen Plans für den Umstieg auf erneuerbare Energien lässt man sich weiter auf faule Kompromisse ein. Allein von Jänner bis November 2022 wurden 6,7 Milliarden Euro für Erdgas an Russland überwiesen. Obwohl die Regierung versprochen hatte, sich unabhängig zu machen von russischem Gas, kamen 70% der Gasimporte im Dezember 2022 wieder aus Russland. Das ist nicht nur klima- und energiepolitisch fragwürdig, es finanziert auch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine mit.
Wenn Nehammer sagt: „Wir können das Unmögliche möglich machen, und wir können Krisen überwinden“, stellt sich die Frage, ob er die Doppeldeutigkeit dieser Aussage erkennt. Denn es ist (auch) die ÖVP, die die Menschen in diesem Land nämlich immer tiefer in die Krisen führt.
Eine Rede, die die Zukunft der Nation und nicht nur die eigene verzweifelte Lage anspricht, müsste sich mit einer Energiewende beschäftigen, mit der Schaffung von leistbarem Wohnraum, der gut an die öffentliche Infrastruktur angebunden ist, mit gut bezahlten Arbeitsplätzen, kurzum mit einem Österreich, in dem in Zukunft alle Menschen gut leben können.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2023)