Randerscheinung

In der Unfallambulanz

Carolina Frank
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Der Schulskikurs des Jüngsten hängt nach einem Handballmatch nun plötzlich an einem nicht seidenen Röntgenbild.

Auf dem Bildschirm vor uns scheint also endlich der Name des Jüngsten auf. Wir dürfen aus der roten Wartezone in das Behandlungszimmer 3 hinein. Die Unfallambulanz ist an diesem Nachmittag nur mittel-voll, niemand scheint schwerer verletzt zu sein. Die Stimmung ist also eher wie beim gelangweilten Warten vor einem Flughafen-Gate als in einer medizinischen Notfalleinheit. Entsprechend frequentiert ist der Getränkeautomat.

An einer Steckdose vor dem Behandlungszimmer 1 hat tatsächlich jemand sein Handy angesteckt. Auch die Energiekrise vermochte nichts an der erstaunlichen Tatsache zu ändern, dass man überall kostenlos Steck­dosen verwenden darf. Beim Jüngsten geht es um den kleinen Finger der rechten Hand, der bei einem Handballmatch in der Schule in Mitleidenschaft gezogen wurde. Könnte also kaum weniger besorgniserregend sein. Außer der kleine Finger der linken Hand vielleicht. Weh tut es ihm trotzdem, er kann keinen Stift halten, und außerdem ist übermorgen Schulskikurs, der nun plötzlich an einem nicht seidenen Röntgenbild hängt.

Und ­tatsächlich sitzen wir schon ein paar Minuten später auf den blauen Sesseln vor der Röntgenabteilung. Der Jüngste hat sein Geo-Buch mit, denn vor der Piste steht noch eine schriftliche Stundenwiederholung an. Es geht um Gletscher. Die Konzentration des Jüngsten ist ähnlich angegriffen wie die Substanz der Pasterze. Sein Handy, das leider nicht geladen werden muss, liegt ihm deutlich besser in der lädierten Hand als das Lehrbuch. Zurück im Behandlungszimmer 3 im roten Sektor zeigt uns die freundliche Ärztin die beleidigte Wachstumsfuge auf dem Schwarz-Weiß-Bild und verordnet drei Wochen Schiene. Skikurs gerettet, aber wie soll man damit bloß einen Geo-Test schreiben? 

("Die Presse Schaufenster" vom 17.03.23)

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