Organhandel: Ist Kosovos Premierminister unschuldig?

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Kosovo Mart(c) Hans Klaus Techt
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Überraschende Wende: Der Europaratsabgeordnete Marty entschärft seine Vorwürfe gegen Hashim Thaci.

Der Sonderberichterstatter des Europarates, Dick Marty, hat seine Organhandelsvorwürfe gegen den kosovarischen Premier Hashim Thaci entschärft. In einem Exklusivgespräch mit dem kosovarischen TV-Sender RTK erklärte Marty am Dienstagabend, dass in seinem Bericht "nirgends von einer direkten Verwicklung Thacis in den Organhandel die Rede" sei.

An dem Verbrechen seien allerdings Personen beteiligt gewesen, die zum Kreis des Ministerpräsidenten gehörten. Es falle zwar schwer, sich vorzustellen, dass Thaci nie etwas davon gehört haben soll. Er könne sich jedoch auch schlecht vorstellen, dass Thaci persönlich an einer Organentnahme teilgenommen habe, meinte der 66-jährige Schweizer Jurist.

Albanien wollte keine Ermittlungen

Marty sagte auch, dass er nicht von "hunderten" gesetzwidrigen Transplantationen, sondern nur von einigen Fällen gesprochen habe. Es habe in der "Befreiungsarmee des Kosovo" (UCK) Fälle von Missbräuchen und Verbrechen gegeben, die untersucht werden müssten, meinte der Europarats-Sonderberichterstatter. Albanien war nach seinen Worten aufgrund der Angaben der dortigen Minister für Inneres und Justiz der Ansicht, dass es keinen Grund für Ermittlungen über eventuelle Ereignisse auf albanischem Gebiet gebe, da das Land nicht direkt in den Konflikt im ehemaligen Jugoslawien verwickelt war.

470 Personen verschwunden

In seinem Mitte Dezember veröffentlichten Bericht hatte Marty Premier Thaci als Chef einer kriminellen Gruppe aus der zentralkosovarischen Region Drenica identifiziert. Diese soll nach Ende des Kosovo-Krieges Mitte 1999 auch in Organhandel verwickelt gewesen sein. Marty gab in dem Bericht ferner an, dass nach Ende des Kosovo-Krieges 470 Personen in der Region verschwunden seien, davon 95 Albaner und 375 Nicht-Albaner, vorwiegend Serben.

Die Parlamentarische Versammlung des Europarates soll sich nächste Woche zum Bericht Martys äußern. Der Sitzung werden auch Vertreter des Kosovo beiwohnen. Premier Thaci hat sich in einem Schreiben an den Europarat-Generalsekretär Thorbjorn Jagland am Mittwoch dafür eingesetzt, die volle Wahrheit über den angeblichen Organhandel festzustellen. Er versprach auch eine volle Zusammenarbeit seiner Regierung bei den Ermittlungen. Die kosovarischen Behörden hatten den Bericht Martys zuvor heftig kritisiert. Thaci selbst hatte im Dezember gedroht, gegen Marty vor Gericht zu ziehen.

Mit Goebbels verglichen

Der kosovarische Premierminister hatte daraufhin den Schweizer Europaratsabgeordneten mit dem Nazi-Propagandaminister Joseph Goebbels verglichen und Marty empfohlen, "sich gute Anwälte zu besorgen".

Die Parlamentarische Versammlung des Europarates wird sich nächste Woche zu Martys Untersuchungsbericht äußern.

Hintergrund

Den Anlass für die zweijährigen Ermittlungen Martys hatte ein Buch der früheren Chefanklägerin des UNO-Tribunals für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien, Carla del Ponte, geliefert. Sie berichtete darin, dass sich das Haager Tribunal im Jahre 2004 mit den Berichten über den Organhandel nach dem Kosovo-Krieg befasst hatte, allerdings aus Mangel an Beweisen keine Ermittlungen eingeleitet hatte. Nach dem Kosovo-Krieg wurden mehr als 400 Personen, mehrheitlich Serben, aber auch Albaner, entführt. Ihr Schicksal ist bis heute ungeklärt.

(APA)

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