Gastkommentar

Das „kaputte“ Migrationssystem schöpferisch zerstören?

Gesellschaft. Beim jüngsten EU-Gipfel wurde Grundlegendes ausgeklammert. Neue Grenzzäune bekämpfen das Schlepperwesen nicht, sondern befeuern es sogar, da Migranten auf gefährlicheren Routen umso mehr auf Schlepper angewiesen sind. Zeit, das Alte abzulegen, um Neues zu schaffen.

Der EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Brüssel brachte in puncto Migration kaum Erfolge. Erreicht wurde etwa die Finanzierung von Wachposten, Fahrzeugen und anderen Maßnahmen an den EU-Außengrenzen. Das Thema Zäune wurde zwar von österreichischer Seite forciert, blieb aber vage. Befestigte Grenzen schloss der Rat nicht aus, zu einer konkreten Verpflichtung kam es nicht. Jedoch sollen „Pilotprojekte“ dafür sorgen, dass Asylwerber schneller abgewiesen werden können. Was mit jenen passiert, die einen Asylgrund haben, bleibt offen, denn die heikle Frage eines Verteilungsschlüssels wurde ausgespart.

Judith Kohlenberger ist Migrationsforscherin und Generalsekretärin der Schumpeter-Gesellschaft Wien. Zuletzt veröffentlichte sie „So schaffen wir das“ (2023, Edition A) mit dem Ersten Vizepräsidenten Othmar Karas.

Dafür soll die Zusammenarbeit mit Drittstaaten strenger gehandhabt werden, bis hin zur Kürzung von Entwicklungshilfegeldern, falls diese sich weigern, ihre Staatsbürger zurückzunehmen. Restriktionen bei Visavergabe und Handelssanktionen stellen weitere Hebel dar, wie man Herkunfts- und Transitländer zu mehr Kooperation „motivieren“ möchte. Die grundsätzliche Positionierung Europas zum Globalen Süden kam ebenso wenig zur Sprache wie Ausbildungspartnerschaften oder Arbeitskräfteabkommen mit afrikanischen Ländern. Wenn 2070 die EU-Bevölkerung im Erwerbsalter laut Schätzungen bei gerade noch 55 Prozent liegen wird, ist das die eigentliche Krise, über die Regierungschefs sprechen sollten.


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