Opernkritik

"Katja Kabanova" in Graz: Schneller Sex in der Kirche

(c) Werner Kmetitsch
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Leoš Janáčeks „Katja Kabanova“ spielt in Anika Rutkofskys holzschnittartig-plakativer Regie kurz nach dem Ende der Sowjetunion unter bigotten orthodoxen Gläubigen. Die Hauptfigur wird von Gebetbüchern zermalmt. Musikalisch erfreuen ein starkes, homogenes Ensemble mit Marjukka Tepponen an der Spitze und Roland Kluttig am Pult der Grazer Philharmoniker.

Symbolik ist alles. „Königliche Tür“ heißt in der Ostkirche der zentrale Durchgang der Ikonostase, also jener Wand, die den Altarraum vom Kirchenschiff abtrennt. Liturgisch genau genommen steht diese Tür nur in der Woche ab Ostersonntag offen. Doch so buchstäblich muss und will es die Regisseurin Anika Rutkofsky in ihrer Grazer Neuinszenierung von Leoš Janáčeks 1921 uraufgeführter Oper „Katja Kabanova“ natürlich nicht nehmen. Sie und ihre Bühnenbildnerin Eleni Konstantatou haben Höheres im Sinn, wenn sie die herzzerreißende Story in Zeit und Ort neu aus- und zurichten – dazu später mehr. 

Das Werk basiert auf nach Alexander Ostrowskis Drama „Gewitter“ von 1860 und behandelt die innige Sommerliebschaft einer jungen Frau in einem Dorf an der Wolga, die dadurch aber nicht aus ihrer lieblosen Ehe und der Unterdrückung durch die Schwiegermutter fliehen kann. Unter Gewissensqualen gesteht sie ihren Ehebruch öffentlich ein und geht dann ins Wasser. Janáčeks grandiose Musik verwandelt in ihrer insistierenden Kleinteiligkeit jeden Herzschlag, jede Regung der Protagonistin in Klang und formt dabei doch einen großen Spannungsbogen, der mit der Schlagkraft eines Psychothrillers funktioniert. Famos, wie der scheidende Grazer Chefdirigent Roland Kluttig Sinn für Timing zeigt und die Liebe zum prägnanten Detail aufs Schönste mit den lyrischen Inseln der Partitur ausbalanciert. Die Grazer Philharmoniker folgen ihm dabei ambitioniert und klangschön und scheuen für den Ausdruck auch kein Risiko. Vor allem aber kann sich Kluttig auf ein hervorragendes Ensemble verlassen. Marjukka Tepponen mag etwas Anlaufzeit brauchen, dann jedoch findet ihre Katja mit gedecktem Ton zu weiträumigen, anrührenden Phrasen, in die Arnold Rutkowski als ihr geliebter Taugenichts Boris beherzt einzustimmen versteht – nachdem sie die erotische Initiative ergriffen hat. Die vokal bewegendste Passage aber gelingt dem „kleinen“ Paar in seinem Liebesduett, Mario Lerchenberger (Kudrjasch) und Mareike Janowski (Varvara).

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