Replik auf J. Bátora.

Nicht alle Nato-Demokratien sind liberal

Rot-weiß-roter Pragmatismus in Zeiten narrativer Dilemmata.

Zur Person

Dr. Rastislav Báchora (* 1978), Politikwissenschaftler, geboren in Bratislava und aufgewachsen in Österreich. Er forscht am Institut für Strategie und Sicherheitspolitik an der Landesverteidigungsakademie in Wien.

Ausgehend vom aggressiven Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine wird im öffentlichen Diskurs das Narrativ des „globalen Konflikts“ zwischen „liberalen Demokratien“ und „autoritären Regimen“ diskutiert. Dabei wird die Neutralität Österreichs – wie im Gastbeitrag „Sicherheitspolitik in der Ära der Grauzonen“ von Professor Jozef Bátora („Die Presse“, 10. 3. 2023) – infrage gestellt und die Nato-Mitgliedschaft als Lösung auch für nicht militärische Herausforderungen präsentiert. Das analytische Konzept der „Grauzonen“ ist innovativ, jedoch stoßen die getätigten Ableitungen auf Widersprüche zwischen dem „Wunschnarrativ“ und der Realität, und hier bietet die Umfassende Landesverteidigung (ULV) gemäß Bundes-Verfassungsgesetz Art. 9a einen pragmatischen Ansatz.

Im Beitrag wird der Krieg in der Ukraine als „Eskalation der russischen Bemühungen, liberale demokratische Institutionen in Mittel- und Osteuropa zu untergraben“, verstanden. Es wird argumentiert, dass infolge von komplexen nicht militärischen Bedrohungen österreichische Sicherheitsinteressen durch die Neutralität nicht mehr adäquat gewährleistet wären. „Grauzonen“, wie z. B. das „Pflegen von Beziehungen“ zu „Investoren“, aber auch zu „politischen und diplomatischen Kreisen“ – explizit aus Russland und China – werden als Nachteil für die eigene Sicherheit im Machtkampf gegen autoritäre Regimes dargestellt. Mit Hinweis auf den anstehenden Nato-Beitritt von Schweden und Finnland als „ökonomische Standorte“ wird der Vorteil der Nato-Mitgliedschaft hervorgehoben und somit Österreich der „Abschied“ von der „formellen Neutralität“ nahegelegt.


Die Diskrepanz zwischen Narrativ und Realität ist evident, denn die Nato als zentraler institutioneller Pfeiler der europäischen Sicherheit allein ist kein Garant für ein adäquates Handeln liberaler Demokratien im Sinne des Konzepts von Bátora. Erstens, nicht alle Nato-/EU-Demokratien sind liberal, was entsprechende Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission belegen. Zweitens, nicht jedes Nato-Mitglied reduzierte diplomatische, wirtschaftliche, gesellschaftliche Beziehungen zu Russland und China. Drittens, gerade mittelosteuropäische Nato-/EU-Demokratien haben sich Sonderregeln im Rahmen von EU-Sanktionen gegen Russland ausverhandelt, und auch der anhaltende Import von russischen Diamanten jenes Staats, in dem sich das Nato-Hauptquartier befindet, widerspricht Bátoras' Rückschlüssen. Viertens, die Verzögerung der Nato-Aufnahme von Schweden und Finnland hinterfragt ebenfalls das vorherrschende Narrativ. Fünftens, die Mitgliedschaft in der EU und nicht in der Nato ist für den „ökonomischen Standort“ essenziell, wie es der Brexit eindrucksvoll beweist.

Bekämpfung von Grauzonen

Da empirische Daten oft Widersprüche der narrativen Ableitungslogik offenbaren, wäre im Sinne des Verfassungspragmatismus eine stringente „Strategie der Gegenwart“ (Rudolf Scholten, Präsident des Bruno-Kreisky-Forums) als gesamtstaatliche Handlungsmaxime der österreichischen Sicherheitspolitik umzusetzen. Mit Fokus auf die Weiterentwicklung der ULV – also der militärischen, geistigen, zivilen und wirtschaftlichen Landesverteidigung – wurde jedenfalls von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner bereits ein wichtiger Akzent in „Rot-Weiß-Rot“ gesetzt. Konsequent und systemisch weitergedacht ist die ULV auch ein Instrument zur Bekämpfung von „Grauzonen“-Bedrohungen, insbesondere in einem Land mit UNO- und OSZE-Sitz.

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