Der Bastler

Illustration: Klemens Kubala
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Vor 60 Jahren starb Carl F. W. Borgward. Dass ausgerechnet die schöne Arabella sein Schicksal wurde, hätte nicht sein müssen.

Delegieren war nicht die Stärke von Carl F. W. Borgward. Jedes, aber auch wirklich jedes Detail in Design und Entwicklung musste von ihm persönlich bestimmt und abgesegnet werden. Oder, noch besser, eigenhändig angepackt. Diese Art von schaffenwütigem Groundspeed gestattet kaum Reflexionen – bis ihm ein ­„Spiegel“ vorgehalten wird. Dessen Ausgabe vom 14. Dezember 1960 trägt denselben Titel wie diese Geschichte. Im Blattinneren wird die Situation der Firma gnadenlos dargelegt, von der dünnen Kapitaldecke und schauderhaften Fertigungsmängeln ist die Rede, von dilettantischen Fehlerbehebungen und unwirtschaftlichen Modellentscheidungen. Borgward, so der Kontext, ist nicht überlebensfähig und eigentlich latent pleite.

Die Wirkung ist katastrophal – der Bremer Stadtsenat tritt von seinen Kredithaftungen zurück, die Banken entziehen ihre Finanzierungszusagen. Im Februar 1961 übereignet Borgward sein Unternehmen dem Land Bremen, im Juli wird das Ausgleichsverfahren eröffnet, im September geht die Firma in Konkurs. Der eigentliche Krimi um das Borgward-Imperium beginnt damit erst und gelöst wird der Fall letztlich nie. Aber was hat es nun mit der Arabella auf sich?

Alles der Reihe nach. Carl Friedrich Wilhelm Borgward kommt 1890 in Altona zur Welt, als eines von dreizehn Kindern eines Kohlenhändlers mit nicht allzu viel Hoffnungsvorschuss. Aber Carl ist talentiert, ehrgeizig und schlau. Wo das nicht ausreicht, improvisiert er eben. Die Schlosserlehre absolviert er problemlos, den Abschluss des Maschinenbaustudiums verhindert 1914 die Einberufung in Kaiser Wilhelms Armee. Verletzungsbedingt ist zumindest Borgwards Weltkrieg rasch zu Ende. Er widmet sich ganz der Arbeit, erwirbt günstig die Beteiligung an einem kleinen Unternehmen, fertigt erst Reifen, dann Kühler und schließlich, 1924 sein erstes, nun ja . . . nennen wir es Fahrzeug. Das Lieferdreirad mit dem knorrigen Namen „Blitzkarren“ und sein Nachfolger „Goliath“ sind simple Konstruktionen, die hohe Lasten stemmen können. 1931 folgt der „Pionier“, Borgwards Premiere mit einem Personenfahrzeug, ebenfalls dreirädrig und mit Platz für zwei. Mit Übernahme und Neuaufstellung der Hansa-Werke kommen auch große, schnittige Modelle, wie Hansa 1700 und 3500 und Borgward 2300 ins Programm. Nebenbei steigt das Unternehmenen zum größten Lkw-Produzenten Deutschlands auf.

Vom nächsten Krieg bleiben Borgward mehr Narben als von der Verwundung im ersten. Der kriegswichtige Wehrwirtschaftsführer wird interniert, noch in der Haft entwirft er den Hansa 1500 – inspiriert vom wuchtigen Design der Wagen aus US-Automagazinen, die ihm die Wachleute leihen. Zwischen der Entlassung und dem Abschluss seines Entnazifizierungsverfahrens arbeitet er als Hilfsarbeiter am Bau – Nichtstun liegt Carl einfach nicht. Letztlich wird er großzügig als „Mitläufer“ eingestuft, bekommt somit das Unternehmen zurück und macht sich sofort an den Wiederaufbau seiner Firma. Mit Konstruktionen wie dem Lloyd und später dem Lloyd Alexander versteht er es, seine Modelle mit den Ansprüchen der Kunden mitwachsen zu lassen.

Parallel dazu baut er mit dem Markennamen Borgward eine sportliche Luxusschiene auf. Vor allem im Süden Deutschlands beobachtet man das mit steigender Nervosität – das Unternehmen befindet sich damit auf direktem Kollissionskurs mit BMW. Aber vorerst sind die Bayern noch mit sich selbst beschäftigt – Mercedes schielt damals recht gierig nach München und das liebe Geld sitzt südlich des Weißwurstäquators gerade alles andere als locker.

Im Herbst 1959 soll der Lloyd Arabella die Lücke zur Marke Borgward schließen. Auch namentlich, heißt das nächst größere Erfolgsmodell dort doch Isabella. Die Arabella sollte und wollte alles richtig machen: Wassergekühlter Alu-Boxermotor, vorne Einzelsitze, umlegbare Rücksitzbank, luxuriöse Ausstattung. Das blechgewordene Fräuleinwunder – ein Auto wie geschaffen, damit Conny Froboess und Peter Kraus darin singend die pastellfarbene Postkartenidylle der späten 1950er-Jahre durchfahren. In der regnet es nämlich nie. Die Arabella ist leider alles andere als wasserdicht und selbst nur wenige Wochen alte Autos begleitet bald ein herber Kellergeruch. Dazu wehrt sich das Getriebe vehement und geräuschvoll gegen Gangwechsel jeder Art – auf eine markttaugliche Synchronisierung hat der omnipräsente Chef nicht geachtet.

Die Garantieforderungen und Nachbesserungen verschlingen Millionen. Der ärgerlichen Regel über den Gruppenzwang von Unannehmlichkeiten zufolge stockt zeitgleich auch das wichtige Exportgeschäft in die USA. Auf dafür angemieteten Wiesen rund um die Werke stehen sich bald Tausende von Arabellas und Isabellas die Räder platt. Während Borgward noch ein Ehrendoktorat und das Bundesverdienstkreuz verliehen wird, sieht die Stadt Bremen den wichtigsten Arbeitgeber der Region wanken und bürgt für Überbrückungskredite. Als der „Spiegel“-Artikel erscheint, sind davon schon zwei Drittel an die Firma ausbezahlt. Borgward-Sager, wie „Fünf Minuten, bevor ich Geld einnehme, gebe ich es aus“ wirken auch nicht unbedingt vertrauenbildend.

Das fehlende Darlehensdrittel besiegelt das Schicksal der Firma. Der stolze Eigentümer muss sein Unternehmen an das Land Bremen abtreten, das nicht zuletzt wegen der 18.000 Jobs – und damit mindestens ebenso vielen Wählerstimmen – prinzipiell zur Weiterführung bereit gewesen wäre. Bis der neu bestellte Aufsichtsratsvorsitzende Johannes Semler unerwartet das wirtschaftliche K. o. erklärt. Dass er zeitgleich im Aufsichtsrat von Konkurrent BMW sitzt, ginge noch als fragwürdiger Zufall durch – wenn der relativ hastig erklärte Konkurs von Borgward nicht schließlich die vollständige Begleichung aller Forderungen ergeben hätte. Ein Ende, das lange auf sich warten läßt – volle acht Jahre. In denen die Geschichte halb vergessen und Semler längst niemand mehr die üblicherweise erste aller juristischen Fragen „Cui bono?“ (Wem nutzt es?) zu stellen bereit ist.

Vor allem Carl F. W. Borgward nicht, weil er schon 1963 an einem Herzinfarkt verstirbt. Auf der Strecke bleiben außer seinem Ruf auch der Großteil der Arbeitsplätze. Und das bis heute beleidigte Ansehen der braven Arabella, von der im Konkurs noch gut 1500 Stück aus dem Lagerbestand an Teilen gefertigt und verkauft werden. Wasserdicht und mit gut schaltbarem Getriebe – der Chef persönlich hatte die Mängel zuletzt noch alle behoben.

Die tragische Geschichte endet hier noch nicht. Ab 2014 lässt die wenige Jahre zuvor von Carls Enkel Christian gegründete Borgward AG mit europäischem Knowhow und chinesischem Produktionskapital wieder Fahrzeuge mit dem Rhomben-Logo entstehen. Gegen den inzwischen längst wieder abgesagten Elektro-Hype in der Volksrepublik können sich die benzingetriebenen SUVs BX5 und BX7 aber nicht durchsetzen. Ein paar wenige schaffen es nach Deutschland, Spekulationen mit den Geschäftsanteilen und Corona erledigen die Marke schließlich endgültig. Am 18. April 2022 meldet sie in Peking Konkurs an. Die Markenrechte liegen damit wieder brach – bis sich der nächste Abenteurer dafür begeistert. ende

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