Redebedarf

Man steckt ja nicht drin: In den Ohren der anderen

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Wireless white headphones on a plain background . White headphones. Solid color background. Modern electronics. Future t(c) imago images/YAY Images (via www.imago-images.de)
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100 Rätsel der Kommunikation. Folge 25. Mein Körper ist eine Plaudertasche. Noch schlimmer: Die Körper der anderen auch. Nur hat Bluetooth ihre Gesprächspartner endgültig verschwinden lassen.

Sprechen, ohne dabei parallel zu reden – fast unmöglich. Denn wenn man so die Inhalte, die man in die Welt hinausschicken will, mit den Lautwerkzeugen in verschiedene Luftströme übersetzt, dann plaudert noch einer mit – der ganze Rest des Körpers. Oder zumindest manche Regionen, die genügend Muskeln haben, um irgendetwas auszudrücken. Allein das Gesicht hat 26 davon, die alles ganz automatisch kommentieren, was aus demselben Gesicht, aus der Mundhöhle, in die weite Welt entweicht. Der Körper ist der Signalverstärker. Der Nachdruckerzeuger. Der Richtig-Einordner von allen Inhalten, die das Gehirn mühsam in Laute verpackt hatte. Nur dass man diesen Signalverstärker nicht ausschalten kann, außer man verabreicht Schlaftabletten. Der Körper unterstreicht doppelt, setzt unter Anführungszeichen, manchmal auch in Klammer, kringelt gestenhaft rot ein. Die Augenbrauen fahren mit dem Leuchtstift über die Worte und die Hände sind die Rufzeichen. Und selbst wenn der Körper mal nicht verstärkt, sondern das Gegenteil von dem sagt, was man sagt – dann bedeutet das gleich wieder etwas: Dass man lügt. Genial.

Der Körper-Kommentator

Den Körper auf stumm schalten, das gelingt also nicht. Und irgendwie fühle ich mich so oft angesprochen – von verschiedenen Körpern, die so an mir vorbeigehen. Am Gehsteig. Oder in der U-Bahn-Station. Als wollten die Körper mir irgendetwas sagen. Dabei bin ich draufgekommen, dass der Körper eigentlich mit anderen spricht. Mit jenen, die gar nicht da sind. Jene, mit denen der Mund der anderen gerade beschäftigt ist. Beide – Mund und Körper reden mit anderen, aber den Körper, den muss ich kognitiv verarbeiten, obwohl ich von den meisten gar nicht wissen will, was sie mir erzählen. Da krieg’ ich lachende Gesichter ab, gerunzelte Stirnen und tanzende Augenbrauen, die ihren Ansprechpartner verloren haben. Weil er so weit weg ist, dass man ihn anrufen muss.

Der Faktor „Tele“ beim Telefonieren hat ja vor Jahrzehnten revolutioniert, wie wir miteinander reden. Seitdem müssen wir mühsam Befindlichkeiten in Stimmen ablesen statt in Gesichtern, und wissen eigentlich nie, wann wir dran sind, etwas zu erwidern, fallen uns ins Wort und haben diese unangenehmen Gesprächspausen. Aber wir Menschen lassen uns ja jede Technologie bieten. Sogar Bluetooth. Und diese Bluetooth-In-Ear-Dinger vulgo – Kopfhörer vulgo Ohrhörer, sind der Grund für das Signaldurcheinander. Denn: Beim Reden wendet man sich ja traditionellerweise an jemanden. Körperlich vor allem. Also dreht man seinen Kopf, seine Augen, seine Schultern jenen zu, denen man mit Worten, Augenbrauen und Körperhaltung etwas erklären will. Seitdem die Gesprächspartner aber gar nicht mehr im selben Raum sind – danke, Telefon – muss man sich an andere wenden.

Da gab's zumindest noch den Hörer, in den man am liebsten hineingekrochen wäre, wenn's ganz streng geheim und intim war. Aber jetzt ist der Hörer weg. Und noch dazu - danke, Bluetooth – ist auch das Handy weg. Das wäre noch der letzte entscheidende Hinweis gewesen, dass da noch jemand ist, am anderen Ende der unsichtbaren Leitung, dem der ganze körperliche Ausdruck gilt. Jetzt schwirrt das ganze Körper-Signal-Durcheinander ungesteuert durch den Raum. Da darf man sich auch mal versehentlich gemeint fühlen. Oder nett angelächelt. Oder abschätzig behandelt.

100 Rätsel der Kommunikation

Bis man die In-Ear Dinger entdeckt und weiß: Das geht mich alles nichts an. Wie schade, denke ich und formuliere meine Enttäuschung mit Gesicht, Schultern und einem leichten Seufzen. Und hoffe, dass sich mein Sitznachbar nicht gleich auch angesprochen fühlt. Von meinem Körper. So ein Spaziergang durch die Stadt ist ein Parcours durch die Körper-Gesprächsfetzen der Menschen. Norbert Philipp bespricht in dieser Kolumne die dringendsten Fragen der digitalen und analogen Kommunikation: Muss man zu Chatbots höflich sein? Wie schreit und schweigt man eigentlich digital? Heißt „Sorry“ dasselbe wie „Es tut mir leid“?. Und warum verrät „Smoke on the Water“ als Klingelton, dass ich über 50 bin

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